Dämmerschlaf - Roman
n … nicht dass ich glaub e …»
«Ich weiß schon. Es ist ein Prachtkind. Komisch, ich sehe bereits jetzt, dass es eine Wyant-Nase und eine Wyant-Stirn bekommt. Das ist ungefähr alles, was wir ihm noch vererben können. Aber hör mal: Weißt du wirklich nicht mehr über den Mahatma? Ich dachte, dieses Lindon-Mädchen war eine Freundin von dir. Pass au f …»
Als Nona Manford auf die Straße hinaustrat, wunderte sie sich nicht, dass Stanley Heuston über den Stuyvesant Square auf sie zuschlenderte. Sie wunderte sich nicht, und eigentlich ärgerte es sie auch nicht; sie konnte machen, was sie wollte, das wohlige Behagen, das sie in seiner Nähe empfand, ließ sich nie ganz unterdrücken. Und doch war sie regelmäßig die halbe Zeit, die sie zusammen verbrachten, böse auf ihn und wünschte ihn fort. Wenn ihre Beziehung nur so einfach gewesen wäre wie die zwischen ihr und Jim! Sie hätte es ja sein können – sein müssen! – in Anbetracht der Tatsache, dass Heuston Jims Cousin war, fast doppelt so alt wie sie und obendrein schon verheiratet, als sie noch zur Schule ging. Wirklich, ihr Ärger war gerechtfertigt. Dennoch verstand niemand sie so gut wie Stanley, nicht einmal Jim, den sie so viel lieber hatte und der viel liebenswerter war. Das Leben war verwirrend für Nona Manford.
«Das ist lächerlich! Ich habe dich gebeten, nicht zu warten. Du glaubst wohl, ich bin noch nicht alt genug, um im Dunkeln allein außer Haus zu sein.»
«Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, und ich warte auch nicht, um dich heimzubegleiten», erwiderte Heuston ein wenig schroff. «Ich möchte vielmehr ein, zwei Worte mit dir reden», fuhr er fort, und seine Stimme veränderte sich und wurde drängender.
Nona blieb stehen, die Absätze fest aufs Pflaster gedrückt. «Wieder die gleichen ein, zwei?»
«Nein. Außerdem sind das drei. Du hast noch nie zählen können.» Er zögerte. «Diesmal geht es nur um Arthu r …»
«So? Was ist los?» Wieder stieg eine böse Vorahnung in ihr auf. Was, wenn Wyant tatsächlich Verdacht geschöpft hatte, dass zwischen Jim und Lita etwas, ein unwägbares Etwas, nicht stimmte, und raffiniert genug gewesen war, Nona seinen Argwohn nicht spüren zu lassen?
«Hast du es nicht gemerkt? Er sieht entsetzlich aus. Er trinkt wieder. Eleanor hat mich darauf angesprochen.»
«Ach du liebe Zeit.» So war es eben, immer brachen Aufgaben und Sorgen über Nona herein. Aber diese Sorgen waren vergleichsweise erträglich. «Was kann ich da ausrichten, Stan? Ich verstehe nicht, warum du damit zu mir kommst!»
Er lächelte ein wenig auf seine seltsame, verächtliche Art. «Tun das nicht alle? Nun ja, ich wollte Jim nicht behelligen.»
Sie schwieg. Sie verstand, aber sie nahm ihm übel, dass er wusste, dass sie verstand.
«Man muss Jim aber behelligen. Er muss sich um seinen Vater kümmern.»
«Ja, abe r … Komm, Nona, willst du es denn nicht begreifen?»
«Was begreifen?»
«Na j a … wenn Jim sich jetzt um seinen Vater Sorgen mach t … Jim ist ein seltsamer Vogel; er hat schon hundert Sachen ausprobiert und ist nie bei etwas geblieben, und wenn er jetzt Angst bekommt, zu allem andere n …»
Nona spürte, wie sie die Lippen zusammenpresste; all ihr Stolz und ihre Zärtlichkeit für den Bruder legten sich wie ein Eispanzer um ihr Herz.
«Ich weiß nicht, was du meinst. Jim ist erwachsen, er muss sich den Tatsachen stellen.»
«Ja, ich weiß. Mir hat man das Gleiche gesagt. Aber in dieser aalglatten, nicht zu greifenden modernen Welt gibt es Tatsachen, denen man sich nicht stellen kann, weil sie nicht ans Tageslicht kommen. Sie lauern nur und lugen und bewegen tonlos die Lippen. Genau wie in meinem Fall. Was bitte sehr hat Aggie an sich, dem sich ein Mensch stellen kann?»
Nona blieb mit einem Ruck stehen. «Reden wir jetzt etwa über dich und Aggie?», sagte sie.
«Schon gut. Ich habe mich nur als Beispiel angeführt. Es gibt noch jede Menge andere.»
Jetzt klang ihre Stimme wütend. «Du wirst doch nicht dein Eheleben mit dem von Jim vergleichen?»
«Lieber Himmel, nein, Gott behüte!» Er brach in ein trockenes Lachen aus. «Wenn ich an Aggies Leben denke und an das von Lit a …!»
«Kümmere dich einmal nicht um Litas Leben. Was weißt du schon davon? Oh, Stan, warum streiten wir schon wieder?» Sie spürte einen Kloß im Hals. «Du wolltest nur über den armen Arthur reden. Und ich habe es schon geahnt – ich weiß, dass man etwas unternehmen müsste. Aber was? Wie um alles in der
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