Dämmerschlaf - Roman
Welt soll ich das wissen? Immer fragen alle mich, was man tun sol l … Und manchmal fühle ich mich zu jung, um immer zu urteilen und zu entscheide n …»
Heuston stand da und beobachtete sie schweigend. Plötzlich nahm er ihre Hand und zog sie durch seinen Arm. Sie sträubte sich nicht, und so verbunden gingen sie langsam und ohne weitere Worte durch die kalten, verlassenen Straßen. Als sie in eine belebtere Gegend kamen, entzog sie ihm ihren Arm und winkte einem Taxi.
«Darf ich mitkommen?»
«Nein. Ich treffe mich mit Lita im ‹Cubist Cabaret›. Ich habe versprochen, um vier Uhr dort zu sein.»
«Na gut.» Er sah sie unentschlossen an, als sich das Taxi näherte. «Wollte Gott, ich könnte immer da sein und dir helfen, wenn dich etwas quält!»
Sie schüttelte den Kopf.
«Niemals?»
«Nicht, solange Aggi e …»
«Das bedeutet niemals.»
«Dann niemals.» Sie streckte ihm die Hand hin, aber er hatte sich schon abgewandt und entfernte sich mit großen Schritten in die entgegengesetzte Richtung. Sie rief dem Taxifahrer die Adresse zu und stieg ein.
«Ja, das heißt wohl niemals», sagte sie sich. Am Ende hatte ihr Stan, statt ihr bei dem Problem mit Wyant zu helfen, noch ein zweites aufgehalst, sein eigenes – und ihres. Solange Aggie Heuston, die als eine Art weltliche Nonne völlig in den Gottesdiensten der Hochkirche und der Ausübung einer freudlosen, aber tüchtigen Philantropie aufging, sich gegen eine Scheidung wehrte, gestand Nona Heuston nicht das Recht zu, ihr dieses Problem aufzuladen. «Sie liebt ihn eben auf diese Weise», sagte sich das Mädchen zum hundertsten Mal. «Sie möchte ihn für sich behalten, auch wenn sie das nicht weiß, aber sie möchte ihn vor allen Dingen retten. Und sie hält dies für den richtigen Weg. Ich bewundere sie fast dafür, dass sie glaubt, es gebe einen Weg, Menschen zu rette n …» Sie schob das Problem wieder beiseite und wandte sich in Gedanken dem anderen, drängenderen zu, dem fortschreitenden Verfall des armen Arthur Wyant. Stanley hatte wahrscheinlich recht, wenn er gerade jetzt nicht mit Jim darüber reden wollte – doch woher wusste Stanley von Jims Schwierigkeiten, und was wusste er? –, und sie selbst war vielleicht die Einzige, die mit Arthur Wyant fertigwurde. Nach einem weiteren Moment bangen Nachdenkens kam sie zu dem Entschluss, dass sie wohl am besten ihren Vater um Rat fragte. Wenn sie jetzt eine Stunde tanzte, würde sie sich danach besser fühlen, lebendiger und leistungsfähiger, und dann blieb immer noch Zeit genug, zu Manford in die Kanzlei zu flitzen, dem erfahrungsgemäß einzigen Ort, wo Manford voraussichtlich Zeit für sie haben würde.
5
Die Tür zur Kanzlei fiel hinter einem scheidenden Klienten ins Schloss, Dexter Manford straffte die kräftigen Schultern, erhob sich vom Schreibtisch und blieb unentschlossen stehen.
«Ich muss am Samstag zum Golfen nach Cedarledge», dachte er. Er lebte unter Menschen, die Golf für ein Universalheilmittel hielten, und in einer Welt, die an Universalheilmittel glaubte.
Während er so dastand, fiel sein Blick in den Spiegel über dem Kaminsims. Unzufrieden musterte er sein Abbild. Schon merkwürdig, wenn sich ein Mann seines Alters im Spiegel angaffte wie ein schmieriger Tangolehrer! Er sah ein düsteres Gesicht mit einer geraden Nase, dunkles, sich ringelndes Haar mit einem Schuss Grau an den Schläfen und dunkle Augen, überwölbt von Brauen, die über einer tiefen, senkrechten Stirnfalte allmählich zusammenwuchsen. Rötliche bis blasse Hautfarbe, schläfrige Augen – würde er demnächst die Zunge herausstrecken müssen? Irgendetwas stimmte nicht mit ih m …
Er ließ sich wieder in seinen Schreibtischsessel fallen und nahm den Telefonhörer ab. «Mrs James Wyant? J a … O h … nicht da? Sind Sie sicher? Und Sie wissen nicht, wann sie zurückkommt? Wer? Ja, Mr Manford. Ich wollte Mrs Wyant etwas ausrichten. Macht nichts!»
Er legte auf, lehnte sich zurück, streckte die Beine unter den Tisch und starrte übellaunig auf den Stapel Briefe und Akten in den mit Saffianleder bezogenen Kästen. «Ich sehe zehn Jahre älter aus, als ich bin», dachte er. Dennoch benahm sich diese neue Schreibkraft, Miss Vollard oder wie sie hieß, als o b … Starrte ihn immer an, wenn sie glaubte, er schaue gerade nicht in ihre Richtun g … «Ach, was für ein Quatsch!», rief er.
Der Tag war verlaufen, wie mittlerweile alle Tage verliefen: zu Beginn ein herrliches Gefühl von Dringlichkeit,
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