Dämmerschlaf - Roman
– hast du mir das gebracht? Was für ein Glück! Ich habe die ganze Stadt nach einer Ausgabe abgesucht, aber die gesamte Auflage ist ausverkauft. Irgendwo hatte ich das Originalfoto, aber ich finde es nicht mehr.»
Sie war bei der verhängnisvollen Seite angelangt und strich sie glatt. Ihr Lächeln liebkoste das Papier. Ihr Mund glich einer rosigen Schote, die aufplatzend eine Reihe perlmutterne Körner enthüllte. Fast zärtlich wandte sie sich Manford zu. «Nachdem du mich daran gehindert hast, zu Ardwin zu gehen, musste ich schwören, das hier an Klawhammer zu schicken, zum Beweis, dass ich wirklich tanzen kann. Tommy hat im Morgengrauen angerufen, dass Klawhammer schon nach Hollywood abgereist sei und gestern Abend alle gesagt hätten, ich hätte gekniffen, weil ich wüsste, dass ich nicht den Erwartungen entsprechen würde.» Sie hielt das Bild mit stolzer Miene vor sich hin. «Sieht nicht danach aus, oder ? … Aber was starrst du so? Wusstest du nicht, dass ich zum Film will? Sesshaftigkeit war noch nie meine Stärk e …» Sie warf die Zeitung hin und legte träge lächelnd ihren Pelz ab, dabei deutete sie ein paar Tanzschritte an. «Warum schaust du so entsetzt? Wenn ich das nicht mache, laufe ich mit Michelangelo davon. Du weißt sicher, dass Amalasuntha ihn herüberkommen lässt? Ich halte das alles hier nicht länger au s … Außerdem hat jeder von uns ein Recht auf Selbstverwirklichung, nicht wahr?»
Manford blickte sie immer noch an. Er hörte kaum, was sie sagte, so sehr ekelte ihn die Erkenntnis, was sie war. Das also waren die Gedanken und Träume hinter diesen Schläfen, auf die das Licht so perlmutterne Kreise malte! Es sagte mit schwerer Zunge: «Dieses Foto ist als o … echt? Du warst wirklich da?»
«In Dawnside? Meine Güte, was glaubst du denn, wo ich tanzen gelernt habe? Tante Kitty hat mich immer dort abgesetzt, wenn sie allein wegfahren wollte – und das wollte sie ziemlich oft.» Sie hatte den Volant des Lampenschirms wieder fallen lassen, den Hut zur Seite geschleudert und war aus dem Pelz geschlüpft. Nun stand sie vor ihm in ihrem knappen, schmalen Kleid, die nackten Arme wie die Henkel einer Amphore zu ihrem kleinen Kopf erhoben. «Ach, Kinder, mir ist so langweilig!», gähnte sie.
ZWEITER TEIL
11
Pauline Manford verlor allmählich den Glauben an sich selbst; sie verspürte das Bedürfnis nach einem frischen moralischen Stimulans. Aber genügte es, zu diesem Zweck aus den alten Quellen zu schöpfen?
Als sie am Morgen nach dem Dinner bei den Toys überlegte, ob es ratsam sei, nach Dawnside in das kleine, kahle Zimmer zu flüchten, wo der Mahatma seine Privataudienzen gab, überlief sie ein Schauder des Zweifelns. Eben jetzt hätte sie es vorgezogen, dem weisen Mann nicht gegenüberzutreten; wenn sie zu ihm ging, lief sie Gefahr, ihren Mann zu erzürnen, und die Klugheit riet ihr, sich aus dem bevorstehenden Kampf herauszuhalten. Falls der Mahatma sie bat, sich für ihn zu verwenden, konnte sie nicht mehr sagen, als dass sie dies bereits erfolglos getan hatte, und solche Eingeständnisse waren meist nutzlos und immer peinlich. Doch sie brauchte einen Ratgeber. Kein Papist auf der Suche nach geistlicher Unterweisung (nannte es Amalasuntha nicht so?) hätte diesen Wunsch dringender verspüren können. Das Sakrament der Beichte, vor dem Paulines tief verwurzelter Protestantismus entsetzt zurückschreckte, hatte gewiss in manchen Augenblicken auch sein Gutes. Aber wem sollte sie beichten, wenn nicht dem Mahatma?
Dexter war in die Kanzlei aufgebrochen, ohne noch einmal nach ihr zu sehen; so wie am Abend zuvor die Fahrt hin zu den Toys und zurück verlaufen war, hatte sie fest damit gerechnet. Wenn er einen seiner Anfälle verkniffenen Schweigens hatte – und die wurden immer häufiger, wie sie bemerken musste –, war es zwecklos, sich einzumischen. Nachklänge aus Freuds Lehren, vielleicht etwas verworren ausgelegt, hatten ihren Glauben an die Heilsamkeit eines klärenden Gesprächs gefestigt, und sie hätte Dexter diese Medizin gern aufs Dringendste empfohlen, aber beim letzten Mal hatte er sie mit der verletzenden Antwort abgespeist, ein Abführmittel sei ihm lieber. Und bei seiner derzeitigen frostigen Unzugänglichkeit wurde er womöglich noch grober.
Sie saß in ihrem Boudoir, leidend und beklommen wegen einer unerwarteten freien Stunde. Der Gesichtsmassagen-Zauberer war an Grippe erkrankt und hatte sie erst im letzten Moment benachrichtigt. Zugegeben, heute Morgen hatte
Weitere Kostenlose Bücher