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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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regelrecht hässlich, mit ihren hohen Wangenknochen, ihrem zu kleinen Kopf, den grellen Kleidern und dem dünkelhaften, gelangweilten Getue. Dann, im Lauf der Zeit, als sich die Ehe wider Erwarten als harmonisch herauszustellen schien, versuchte er sich Jim zuliebe für sie zu interessieren, in ihr zu sehen, was Jim offenbar sah. Doch der eigentliche Wandel vollzog sich erst nach der Geburt des Jungen. Als sie damals in ihren Kissen lag, ungewohnte Schatten unter den goldenen Wimpern, eine Blumenhand schützend unter den kleinen, roten Kopf neben sich gebettet, hatte ihn dieser Anblick zutiefst gerührt. Das Entzücken hielt nicht an, er empfand es nie wieder in dieser Weise; es gab Tage, wo ihn ihr «Schönheitsgetue» ärgerte, und andere, wo ihre Trivialität ihn abschreckte. Aber niemals langweilte sie ihn, sie entfachte in ihm unweigerlich eine Art gereizte Neugier. Seiner Meinung nach lag es daran, dass man nie sicher sein konnte, was sie vorhatte. Vermutungen anzustellen, was hinter dieser glatten, runden Stirn und diesen trügerischen Augen vor sich ging, fesselte ihn irgendwann mehr als alles andere.
    Anfangs war er immer froh, wenn Nona auftauchte, Jim erschöpft, aber glücklich aus der Bank heimkehrte, und die drei jungen Leute dann beieinandersaßen, irgendwelchen Unsinn schwatzten und Manford rauchen und zuhören ließen. Aber im Lauf der Zeit hatte er sich angewöhnt, Nonas Tage zu meiden und früher zu erscheinen (wofür er sich nur unter Schwierigkeiten von seinen beruflichen Verpflichtungen freimachen konnte), sodass er Lita allein antraf, bevor Jim heimkehrte.
    In letzter Zeit wirkte sie ruhelos, leicht unzufrieden mit vielem, und Manford war entschlossen, ihr Vertrauen zu gewinnen und das Rätsel, das diese glatte, runde Stirn barg, zu lösen. Er ertrug den Gedanken nicht, dass Jims Ehe sich wie so viele andere als erfolgloses Abenteuer entpuppen könnte. Man musste Lita klarmachen, welchen Schatz sie besaß und wie leicht sie ihn verlieren konnte. Lita Cliffe, Mrs Percy Landishs Nichte, hatte das Glück gehabt, Jim Wyant zu heiraten, und sollte das Risiko eingehen, sich mit ihm zu entzweien?! Wie dumm die Frauen doch waren! Gelang es Manford, sie von diesem Betrüger- und Schmeichlerpack in ihrer Umgebung wegzulotsen, konnte er sie bestimmt zur Vernunft bringen. Manchmal, wenn sie friedlich gestimmt war, schien sie sich auf sein Urteil zu verlassen, sich auf fast rührende Weise dem zu beugen, was er sagte.
    Es ging darum, sie von Jazz und Nachtclubs wegzulocken, von diesem pseudokünstlerischen Mob von Innenarchitekten, Filmstars und Theatergesindel, der sich in ihrem Leben breitgemacht hatte, und sie wieder für die Freuden des Landlebens zu begeistern, für Golf, Tennis, Kahnfahrten, all diese gesunden Betätigungen an der frischen Luft. Sie fand das alles auch ganz nett, solange nichts anderes geboten war. Sie hatte Manford gestanden, dass sie die Hetzerei satt habe und Ruhe brauche, hatte fast schon zugesagt, vor Ostern mit dem Jungen nach Cedarledge zu kommen. Jim würde mit seinem Vater auf die Insel vor der Küste Georgias fahren, und es war vielleicht gar nicht so schlecht, wenn Jim fort war. Diese modernen jungen Frauen wurden des Gewohnten rasch überdrüssig, und nach einer Trennung würde Lita ihren Mann umso mehr zu schätzen wissen.
    Ja, nur noch ein paar Wochen, dann würde daraus vielleicht Wirklichkeit. Sie hatte noch nie den Hartriegel in Cedarledge ausschlagen sehen, wenn der Wald zitternd ergrünte. Manford lächelte bei dieser Vorstellung und bückte sich, um den «Looker-on» aufzuheben und seine Erinnerung aufzufrischen.
    Aber es war nicht die richtige Ausgabe, es waren keine Gärten abgebildet. Warum hatte ihm Miss Vollard die Zeitschrift dann gegeben? Als er rasch die Seiten durchblätterte, klappte das Heft bei «Fernöstlicher Weiser in Eingeborenentracht» auseinande r … Oh, dieser verfluchte Mahatma! «Frühlingserwachen in Dawnside » … Oh, verfluch t …
    Er stand auf und hielt die Zeitschrift unter eine der dunkel beschirmten Lampen. Zu Hause, wo Pauline und die Vernunft regierten, war die Beleuchtung so angebracht, dass man immer lesen konnte, ohne aus seinem Sessel aufzustehen, aber in diesem lächerlichen Haushalt, in dem nie jemand ein Buch aufschlug, waren die Lampen so widernatürlich platziert und so stark abgeschirmt, dass man seine Zeitung direkt ins Licht halten musste, um überhaupt etwas erkennen zu können.
    Er sah sich das Foto genau an, erkannte

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