Dämmerschlaf - Roman
ihm, was einen plagte, und er erklärte, das sei nur eine Frustration, er könne einen davon befreien und sie durch fünf Minuten Schweigekommunikation zum Verschwinden bringen. Und dann saß er da, fasste einen ganz leicht am Handgelenk, als fühle er den Puls, und befahl einem, den Blick auf den Ella-Wheeler-Wilcox-Gedichtkalender 39 an der Wand über seinem Kopf zu richten. Als es vorbei war, sagte er: «Sie sind ein dankbares Objekt. Die Frustrationen sind alle fort. Gehen Sie nach Hause, noch vor dem Abendessen werden Sie etwas Erfreuliches hören. Fünfundzwanzig Dollar.» Und im Flur sagte ein käsiger junger Mann mit bleichem Haar: «Bitte hier entlang», und führte Pauline am Ellbogen hinaus.
Natürlich war sie kein leichtgläubiger Mensch, sie hielt sich etwas darauf zugute, dass sie alles immer mit dem Verstand überprüfte. Aber es war wirklich wunderbar, wie befreit sie sich fühlte, als sie die Treppen hinunterschritt! Dieser Schwung hielt den ganzen Tag an, vielleicht noch unterstützt durch die aufmerksame Lektüre der Zeitungsberichte über die Muttertagsversammlung, die die umsichtige Maisie bereitgelegt hatte. Alvah Loft hatte gesagt, sie werde noch vor dem Abendessen etwas Erfreuliches hören, und als sie am späten Nachmittag nach oben in ihr Boudoir ging, schaute sie erwartungsvoll auf den Schreibtisch, als läge dort die Offenbarung. Und da lag sie tatsächlich, in Gestalt einer Telefonnachricht.
«Mr Manford kommt um sieben Uhr nach Hause. Er möchte Sie vor dem Dinner ein paar Minuten sprechen.»
Es war kurz vor sieben, und Pauline ließ sich vor dem Kamin nieder und schlug die Abendzeitung auf. Sie hatte selten Zeit, sie gründlich durchzulesen, aber heute enthielt sie möglicherweise einen Bericht über die Muttertagsversammlung, und dank ihrer neu erlangten Gelassenheit empfand sie es sogar als angenehm, ungestört dazusitzen und auf ihren Mann zu warten.
«Dexter, du siehst so müde aus!», rief sie, als er eintrat. Sofort kam ihr der Gedanke, sie könnte ihn vielleicht vorsichtig auf den neuen Heiler hinweisen, aber die Klugheit gebot, erst einmal abzuwarten, und so legte sie die Zeitung beiseite und lächelte gespannt.
Manford zuckte wie immer ungeduldig die Achseln. «Am Ende eines Tages in New York sieht jeder Mensch müde aus, dazu ist New York wahrscheinlich da.» Er setzte sich ihr gegenüber in den Sessel und starrte ins Feuer. «Ich wollte dich sehen, um mit dir über unsere Pläne zu spreche n … über eine Änderung», begann er. «Man findet kaum eine ruhige Minute.»
«Ja, aber jetzt haben wir keine Eile. Die Delavans speisen nie vor halb neun.»
«Oh, sind wir dort eingeladen?» Er griff nach einer Zigarette.
Sie konnte sich nicht verkneifen zu sagen: «Du rauchst wirklich zu viel, Dexter. Der Ärger mit dieser Zeitschrif t …»
«Ja, ich weiß. Was ich eigentlich sagen wollte: Ich hätte gern, dass du Lita und den Jungen für die Zeit, in der Jim und Wyant auf der Insel sind, nach Cedarledge einlädst.»
Das war eine Überraschung, aber sie begegnete ihr gelassen und gefasst. «Natürlich, wenn du möchtest. Glaubst du denn, dass Lita hinfährt, ganz allein? Du bist beim Tarpunfischen, Nona geht zur Abwechslung für vierzehn Tage nach Asheville, und ich hatte vo r …» Sie hielt plötzlich inne. Sie hatte natürlich für diese Zeit ihre Ruhekur in Dawnside eingeplant.
Manford saß stirnrunzelnd da und betrachtete aufmerksam das Feuer. «Warum sollen wir nicht stattdessen alle nach Cedarledge fahren?», begann er. «Irgendwer muss sich um Lita kümmern, solange Jim weg ist, ja er und Wyant würden wahrscheinlich gar nicht fahren, wenn wir das nicht übernähmen. Sie ist völlig kaputt, weiß es aber nicht, und angesichts all dieser Idioten in ihrem Umkreis gibt es nur eine einzige Möglichkeit, ihr eine wirkliche Ruhepause zu verschaffen, indem wir sie nämlich mit dem Jungen aufs Land bringen.»
Paulines Gesicht leuchtete in seliger Ungläubigkeit auf. «O Dexter, würdest du wirklich an Ostern nach Cedarledge kommen? Wie herrlich! Natürlich verzichte ich dann auf meine Ruhekur. Wie du sagst – nichts ist so schön wie das Leben auf dem Land.»
Innerlich stimmte sie bereits eine Hymne auf Alvah Loft an. Osterferien auf dem Land, alle zusammen – wie lange war das schon her! Sie hatte es immer für ihre Pflicht gehalten, Dexter zuzureden, wenn sich für ihn eine Gelegenheit bot, etwas ohne die Familie zu unternehmen, zu reisen, zu jagen oder zu fischen;
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