Dämmerschlaf - Roman
bleibt.»
«O h …»
Pauline glaubte einen enttäuschten Unterton in Nonas Stimme zu hören. Die arme Nona! Ihre Mutter hatte schon vor langer Zeit erkannt, dass sie keine Begeisterungsfähigkeit besaß, ihr jeder Glaubenstaumel fremd war. Sie schlug nach ihrem Vater. Wie sie da in diesem Vormittagslicht auf der Armlehne saß und die langen Beine baumeln ließ, sah sie müde und blass aus.
«Auch du solltest versuchen, so zu denken, Liebes», sagte Pauline strahlend.
Nona hatte das Achselzucken ihres Vaters. «Das mache ich vielleicht, wenn ich einmal mehr Zeit habe.»
«Aber man kann sich immer Zeit nehmen, Liebes.» («So wie ich», deutete das Lächeln an.) «Du siehst völlig erledigt aus, Nona. Ich wollte, du würdest zu diesem wunderbaren neuen Mann gehen, den ich gerad e …»
«Schon gut, Mutter. Ich bin heute nicht gekommen, um über mich zu sprechen. Es geht um Lita.»
«Lita?»
«Ich will schon lange mit dir über sie reden. Ist dir nichts aufgefallen?»
Pauline blieb bei ihrem munteren, wohlwollenden Lächeln. «Erklär mir, was du meinst, Liebes, lass uns alles besprechen.»
Nonas Stirn hatte sich in besorgte Falten gelegt. «Ich fürchte, Jim ist nicht glücklich», sagte sie.
«Jim? Aber, Liebchen, er ist furchtbar überarbeitet – das ist das Problem. Vater hat vor Kurzem mit mir darüber gesprochen. Er schickt Jim und Arthur im nächsten Monat auf die Insel, damit sie sich dort ordentlich erholen.»
«Ja, das ist furchtbar nett von Vater. Aber darum geht es nicht – es geht um Lita», wiederholte Nona hartnäckig.
Ein leichter Schatten streifte Paulines wolkenlosen Horizont, aber entschlossen wandte sie den Blick ab. «Sag mir, was deiner Ansicht nach nicht in Ordnung ist.»
«Nun ja, Lita langweilt sich zu Tode – sagt, sie will alles hinschmeißen. Das Leben, das sie führe, hindere sie an ihrer Selbstverwirklichung.»
«Lieber Himmel, was fällt ihr ein!» Pauline setzte sich jählings auf, und der dünne Schleier heiterer Gelassenheit wehte davon wie ein Dampfwölkchen. Fand sie denn nie Frieden? In ihr regte sich etwas wie leidenschaftliche Empörung – und gleich darauf die Furcht, dies könne den Erfolg von Alvah Lofts Seelenchirurgie gefährden. Nach einer körperlichen Operation achtete man stets sorgfältig darauf, dass sich der Patient ausruhte – aber niemand dachte daran, sie zu schonen, obwohl an ihr eine wahrhaft drastische Resektion vorgenommen worden war. Fast gereizt blickte sie Nona an. «Meinst du nicht, dass du dir manchmal allerlei einbildest, mein Schatz? Denn je mehr wir die Vorstellung von Leid und Sorge zulassen, umso meh r …»
«Ja, ich weiß. Aber das ist keine Vorstellung, sondern eine Tatsache. Lita sagt, sie muss sich selbst verwirklichen, sonst stellt sie etwas Schreckliches an. Und das würde Jim das Herz brechen.»
Pauline lehnte sich zurück, merkwürdig gestärkt durch diese unverhohlene Drohung. Ein lachhafter Gedanke, dass Lita Cliffe drohte, einem Wyant etwas Schreckliches anzutun! «Meinst du nicht, sie ist nur etwas überreizt? Sie führt ein derart verrücktes Leben – wie ihr Jungen alle. Und seit der Geburt des Kindes ist sie nicht besonders belastbar. Ich glaube, sie muss sich ausgiebig erholen, genau wie Jim. Dein Vater hat das klar erkannt. Er will sie überreden, für ein paar Wochen nach Cedarledge zu kommen, solange Jim in Georgia ist.»
Nona blieb unbeeindruckt. «Lita wird nie allein nach Cedarledge fahren, das weißt du sehr wohl.»
«Das muss sie auch nicht, Liebes. Vater hat auch daran gedacht; er findet Zeit, an alles zu denken.»
«Und wer fährt noch?»
«Wir fahren alle. Zumindest hofft Vater, dass du auch kommst. Er verzichtet sogar auf das Tarpunfischen, um mit uns zusammen zu sein.»
«Tatsächlich?» Nona stand auf, den Blick plötzlich fest auf die Mutter gerichtet.
«Dein Vater ist wunderbar», jubelte Pauline.
«Ja, ich weiß.» Die Stimme des Mädchens klang nun wieder unbeteiligt. «Aber bis dahin vergehen ja noch Wochen. Und ich fürchte, inzwische n … Ich habe Angst.»
«Kleine Mädchen sollten keine Angst haben. Wenn du Angst hat, schick Lita zu mir. Das ist bestimmt nur ein Fall von Frustratio n …»
«Frustration?»
«Ja, das ist das Neueste in der Psychologie. Ich nehme sie mit zu Alvah Loft, einem großartigen Inspirationsheiler. Ich habe erst drei Behandlungen gehabt, doch sie wirken Wunder. Es dauert keine zehn Minuten, und alle Last fällt von einem ab.» Pauline warf den Kopf zurück
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