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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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nähme! «Dabei hat er immer so gut ausgesehen!», dachte seine Frau, durchströmt von jener plötzlichen Lebenskraft, die sie immer verspürte, wenn sie an Gleichaltrigen Anzeichen von Ermüdung oder Alter bemerkte. Ihr fiel auf, dass Manford und Nona auf die gleiche Weise blass wurden und die Mundwinkel hängen ließen, wenn sie unter körperlicher oder seelischer Anspannung standen.
    Manford sagte: «Ich wollte Mrs Landish bitten, uns dabei zu helfen, Lita an Ostern von hier wegzubekommen. Ich dachte, sie könnte ihr gut zurede n …»
    Nun war es an Pauline zu lächeln. «Vielleicht, ja. Ich kam, um ihr mitzuteilen, dass sie Lita womöglich bald wieder auf dem Hals hat, wenn die sich nicht beruhigt und vernünftig aufführt. Das wird wohl einigen Eindruck auf Kitty machen. Ich werde unmissverständlich klarstellen, dass sie finanziell nicht auf mich zählen können, wenn Lita Jim verlässt.» Sie warf Manford einen strahlenden Blick zu und wartete unwillkürlich auf seine Zustimmung.
    Aber die erhoffte Antwort blieb aus. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, er wirkte unsicher, und einen Moment lang sagte er gar nichts. Dann murmelte er: «Das ist alles sehr bedauerlic h … ein dummes Kuddelmudde l …»
    Pauline bemerkte, dass sich sein Tonfall veränderte. Offenbar hatte ihm ihre letzte Äußerung nicht gefallen und hatte eine dieser unsichtbaren Barrieren zwischen ihnen errichtet, gegen die sie mit ihren Ansichten schon so manches Mal schmerzlich geprallt war. Und das jetzt, wo sie geglaubt hatte, dass er und sie sich wieder näherkamen!
    «Wir dürfen nicht hart gegen sie sei n … Wir dürfen sie nicht verurteilen, ohne beide Seiten zu hören», fuhr er fort.
    «Natürlich nicht.» Es war genau das, was sie von ihm hören wollte, nur nicht mit dieser Stimme. Er sprach zögernd und verlegen. War es möglich, dass ihre Anwesenheit ihn verlegen machte? Bei Manford konnte man nie wissen. Fast schüchtern schlug sie vor: «Soll ich gehen, damit du allein mit Kitty sprechen kannst? Wir müssen ja vielleicht nicht beid e …»
    Er vermochte die Erleichterung in seinem Blick nicht zu verbergen, aber ihre fröhliche Entschlossenheit zeigte sich über diesen Schreck erhaben. «Du kannst das so viel besser», ermutigte sie ihn.
    «Ach, ich weiß nicht. Wir beide gleichzeiti g … das sieht vermutlich ein bisschen nach peinlicher Befragung aus, meinst du nicht?»
    Sie pflichtete ihm nervös bei: «Ich möchte ja nur alles ins Reine bringen.»
    Er nickte zustimmend und begleitete sie zur Tür. «Aber vielleich t … hör zu, Paulin e …»
    Sie strahlte ihn erwartungsvoll an.
    «Solltest du nicht noch etwas warten, bevor du dich mit Lita triffst? Womöglich ist es gar nicht nötig, wen n …»
    Ihre erste Regung war nachzugeben, doch dann fiel ihr der Inspirationsheiler ein. «Du kannst dich darauf verlassen, dass ich taktvoll vorgehe, mein Lieber. Andererseits tut es Lita gewiss gut, ihr Herz auszuschütten, und am Ende komme ich besser an sie heran als Kitty… Lita und ich sind immer gute Freundinnen gewesen, und es gibt da einen wunderbaren neuen Mann, den ich ihr empfehlen möchte – er hat wirklich übersinnliche Kräft e …»
    Manfords Lippen verzogen sich zu einem Lächeln; sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich neuerlich ein Graben zwischen ihnen auftat. Warum war er plötzlich wieder boshaft und unnahbar? Es blieb ihr keine Zeit, darüber nachzudenken, denn schon floss ihr die Frohe Botschaft von den Frustrationen über die Lippen. «Kein Lehrer! Er lehnt alles Doktrinäre ab, er ‹wirkt› nur auf seine Patienten. Er…»
    «Liebste Pauline! Dexter! Wartet ihr schon lange? Ach, du liebe Zeit, meine Sanduhr ist wohl schon lange abgelaufen!»
    Mrs Percy Landish war zurück und glitt mit einer Art ätherischem Schleifschritt auf sie zu, als werde sie von einer Märzbö hereingeblasen. Ihre große, sich wiegende Gestalt erweckte auf die Entfernung den Eindruck von Stattlichkeit, welcher aber erlosch, als sie näher kam, als verschwömmen mit einem Mal ihre Konturen. Ihr Gesicht wirkte wie eine unvollendete Skizze, die der Künstler mit reichlich viel blondem Haar, einer hübschen Nase und ausdrucksvollen Augen ausgestattet, aber ohne Mund gelassen hatte.
    Sie legte ein paar undefinierbare Päckchen ab und schüttelte gereizt das Stundenglas, als läge die Schuld bei ihm.
    «Wie lieb von euch!», begrüßte sie ihre Besucher. «Ich sehe euch nicht oft gemeinsam in meinem Horst.»
    Pauline verblüffte

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