Dämmerschlaf - Roman
sein, durch die er hindurchstarrte. Aber worauf starrte er? Nie zuvor hatte sie so sehr das Gefühl gehabt, gar nicht zu existieren.
«So, ich bin hundemüde, fix und fertig», sagte er unvermittelt wie so oft, zuckte die Achseln und wandte sich zur Tür. Er dachte nicht daran, ihr eine gute Nacht zu wünschen; wie sollte er auch, wenn sie für ihn gar nicht mehr vorhanden war?
Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, sah sich auch Pauline zögerlich im Zimmer um. Es war, als wollte sie die Verwüstung nach einem Erdbeben abschätzen; aber nichts um sie herum wies Zeichen von Unordnung auf – bis auf den Sessel, den ihr Mann zurückgeschoben hatte, und den Kaminvorleger, der durch seine Schritte verrutscht war.
Mit gewohnter Akribie zog sie unwillkürlich den Teppich gerade und rollte den Sessel wieder in die angestammte Ecke. Dann ging sie zu einem Spiegel und betrachtete sich eingehend und kritisch. Möglicherweise war das Licht unvorteilhaft… der Schirm der seitlich angebrachten Wandlampe hatte sich verschoben. Sie rückte ihn zurecht. Ja, nun war es besser! Sicher, kurz vor Mitternacht – und nach einem solchen Tag! – sah eine Frau zwangsläufig ein bisschen erschöpft aus. Automatisch formten ihre Lippen die vertrauten Worte: «Mach dir keine Sorgen, Pauline, es gibt nichts auf Erden, weswegen du dir Sorgen machen müsstest.» Aber das Rot war aus ihren Lippen gewichen. Sie waren nur noch ein dünner Strich, bläulich und vertrocknet.
Sie wandte sich von diesem unerfreulichen Anblick ab und löschte auf dem Weg zu ihrem Ankleideraum ein Licht nach dem andern.
Als sie sich bückte, um die letzte Lampe auszumachen, sah sie in deren Lichtschein eine große, gerahmte Fotografie, das jüngste Porträt von Lita. Lita besaß das Talent, sich vor der Kamera in Szene zu setzen, ihre Haltung hatte unbewusst immer etwas Sprechendes. Und dieses kleine, runde Gesicht, glatt wie das Innere einer Muschel, die schrägen Augen, der knospende Mun d … Männer fanden all das zweifellos bezaubernd.
Langsam ging Pauline in den großen, hell erleuchteten Ankleideraum und das dahinterliegende Badezimmer, das von weißen Fliesen und silbernen Wasserhähnen und Leitungen nur so funkelte. Es war die Stunde ihrer abendlichen Erbauungsübungen, einer letzten Lockerung von Körper und Seele vor dem Schlafen. Eisern machte sie sich ans Entspannen.
17
Was für einen Sinn hatte das alles?
Zwei Tage nach ihrem nächtlichen Besuch im «Housetop» saß Nona aufrecht im Bett und ließ ihren Blick verzweifelt über die verstrichene Zeit gleiten.
Sie hatte sich großartig und endgültig verweigert. Sie hatte sich selbst und Heuston dem dummen Ideal einer eigensinnigen Frau geopfert, die andere Menschen beeindruckte, indem sie ihr Geltungsbedürfnis in philantropische frömmelnde Sprüche hüllte. Weil Aggie ständig in die Kirche ging und sich als Ausschussvorsitzende von Altenheimen und Lungensanatorien aufspielte, durfte sie sich Grausamkeiten herausnehmen, für die ein leichtfertiger Mensch der ewigen Verdammnis anheimgefallen wäre.
Sie zerstörte zwei Leben, um ihr Reinheitsideal aufrechtzuerhalten. Es war wie bei den kranken alten Männern aus den Geschichtsbüchern, die in Menschenblut badeten, um ihre Lebenskraft zurückzugewinnen. Alle waren der Meinung, dass es nichts gab, was ein kluger, feinfühliger Kerl wie Stanley Heuston nicht hätte im Leben erreichen können, wenn er eine andere Frau geheiratet hätte. So aber hatte er sich nur willenlos treiben lassen. Er hatte es mit Jura versucht, als Literaturkritiker dilettiert, einen kleinen Ausflug in die Kommunalpolitik und einen weiteren in die Agrarwissenschaft unternommen und einen Versuch nach dem andern abgebrochen, um schließlich im Alter von fünfunddreißig Jahren zu einem enttäuschten Müßiggänger zu verkommen, der die Zeit mit Kartenspielen, Trinken und Autofahren totschlug. Sie glaubte nicht, dass er heute noch einen Blick in ein Buch warf; er zehrte vom schwindenden Kapital seiner früheren Leidenschaften. Aber was die Leute seine «Leichtlebigkeit» nannten, war nur der unvermeidliche Protest gegen Aggies Tugenden. Und es waren ja keine Kinder da. Es tat Nona immer weh, wenn die verwirrten Sprösslinge von Eltern, die sich soeben auf ein neues eheliches Experiment eingelassen hatten, von einem Zuhause ins andere verschoben wurden; niemals hätte sie ihr Glück mit dem Gemetzel von Unschuldigen erkauft. Aber einer unfruchtbaren Verbindung geopfert zu werden
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