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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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schöner, die jedoch sofort die richtigen Worte gefunden oder die stummen Silben der Seelentelegrafie zu buchstabieren gewusst hätten. Wenn ihr Mann doch an Fakten interessiert gewesen wäre – einem netten, vertraulichen Schwatz über die neue Alarmanlage oder einer übersichtlichen, gründlichen Darlegung der Rechnungen für das Feuerwehrhaus oder die Schwimmbeckenheizung –, bei solchen Themen hätte sie sofort den rechten persönlichen, zärtlichen Ton gefunden. Vertrautheit bedeutete für sie das nimmermüde Erörtern von Fakten, nicht unbedingt häuslicher Natur, aber doch präziser, greifbarer Fakten. Sie für ihr Teil war für alles offen, von der Geburtenregelung bis zum Neoimpressionismus; sie schmeichelte sich, dass nur wenige Frauen ein breiteres Betätigungsfeld hatten. In intimen Momenten bevorzugte sie etwas heimeligere Themen; am liebsten wäre ihr jetzt ein zärtlicher, fröhlicher Austausch über den Kohlenkeller oder ein bündiges, beherztes Zwiegespräch über das Leck im Boiler gewesen, aber sie konnte sich auf alles einlassen, solange es sich um Tatsachen handelte, um etwas Materielles, klar Umrissenes, hinsichtlich dessen man eine Meinung haben und eine Vorgehensweise entwickeln konnte. Was sie so lähmte, war das Gefühl, dass ihrem Mann außerhalb seines Berufs nicht an Tatsachen gelegen war und wahrscheinlich nichts weniger sein Interesse weckte als der Schaltplan einer Alarmanlage oder die neuesten Elektroherde. Offenbar musste man die Männer nehmen, wie sie waren – eigensinnig, launisch und rätselhaft –, aber sie hätte wer weiß was darum gegeben, wenn ihr jemand verraten hätte, was andere Frauen so äußerten, die sich mit einem Mann über «nichts» unterhalten konnten, denn trotz allen Eifers hatte sie das noch nicht herausgefunden.
    Manford zündete sich eine Zigarre an und starrte ins Feuer. «Es geht um diese verrückte Amalasuntha», begann er schließlich, an die Holzscheite gewandt.
    Der Name versetzte Pauline schlagartig zurück in die Realität. Hier war ein Faktum – hart, knorrig und unbequem! Und in der verwirrten Freude über ihr Tête-à-Tête hatte sie es tatsächlich vergessen. Er war also nur nach Hause gekommen, um mit ihr über Amalasuntha zu sprechen. Sie versuchte sich die Ernüchterung nicht anmerken zu lassen. «Ja, Schatz?»
    Den Blick noch immer ins Feuer gerichtet, fuhr er fort: «Du weißt vielleicht nicht, dass wir nur mit knapper Not davongekommen sind.»
    «Mit knapper Not davongekommen?»
    «Dieser verdammte Michelangelo – seine Mutter wollte ihn diese Woche herüberholen. Das Telegramm war schon abgeschickt. Wenn ich der Sache keinen Riegel vorgeschoben hätte, hätten wir ihn für den Rest unseres Lebens auf dem Hals gehabt.»
    Pauline stockte der Atem. Sie spitzte die Ohren.
    «Du hast sie also nicht gesehen – sie hat dir nichts gesagt?», fuhr Manford fort. «Sie wollte ihn auf eigene Faust kommen lassen, damit er in einem Film von Klawhammer auftritt. Einfach so! Dem Himmel sei Dank, dass ich sie davon abbringen konnte – aber es war in letzter Minute!»
    In ihrer Verwirrung über diesen Ausbruch und das, was dahintersteckte, blieb Pauline sprachlos sitzen. «Michelangelo – Klawhammer? Das wusste ich nicht! Aber wäre das nicht vielleicht die beste Lösung gewesen?»
    «Lösung – wofür? Findest du nicht, dass ein Familienmitglied auf der Leinwand reicht? Wäre es dir lieber, man würde ihn und Lita zusammen auf jeder Reklametafel im Land sehen? Meine Güte, ich dachte, ich hätte richtig gehandelt, stellvertretend für dich – es blieb keine Zeit, dich zu frage n … Aber wenn es dir nichts ausmacht, warum sollte es dann mir etwas ausmachen? Zu meiner Familie gehört er ja nicht – und sie im Übrigen auch nicht.»
    Er hatte sich vom Kamin weggedreht und blickte sie zum ersten Mal an, die Brauen zusammengezogen, die Schläfenadern geschwollen, die Hände um die Knie gekrampft, als wollte er sich daran hindern, in gerechter Empörung aufzuspringen. Er war offenbar zutiefst aufgewühlt, doch hinter seinem Zorn, das spürte sie, verbarg sich unbewusst eine andere Empfindung – eine Empfindung, die sie nicht zu deuten vermochte. Sein Ungestüm und das Gefühl, völlig im Dunkeln zu tappen, wirkten einschüchternd auf sie. «Ich verstehe nicht ganz, Dexter. Amalasuntha war heute hier. Von Filmen oder von Klawhammer war nicht die Rede; sie sagte nur, du hättest dafür gesorgt, dass Michelangelo nicht mehr nach Amerika kommen

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