Dämmerschlaf - Roman
jungen Mann in nächster Nähe zu ersparen. Das war verständlich. Aber wäre es ihm in erster Linie um Jims Seelenfrieden gegangen, hätte er dieses Ziel doch ebenso und für alle außer Michelangelo befriedigender erreicht, wenn er sich mit Pauline zusammengetan, Jims Zuschuss aufgestockt und damit Lita, die nun mehr Geld ausgeben konnte, unterhalten und abgelenkt hätte. Mit ihrem handfesten Wertbegriff konnte sich Pauline selbst in einem Augenblick wie diesem nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass so viele feine Tausender in die Taschen von Michelangelos Gläubigern wandern sollten. Sie war von Natur aus großzügig, aber ganz gleich, wie sie ihr Vermögen ausgab, sie vergaß nie, dass es Geld gewesen war – und wie viel Geld es gewesen war –, bevor es zu etwas anderem wurde. Für sie verwandelte es sich nie, sondern wurde nur ausgetauscht.
«Du bist nicht zufrieden – du findest nicht, dass ich richtig gehandelt habe?», begann Manford wieder.
«Das sage ich nicht, Dexter. Ich frage mich nu r … Wenn wir nun stattdessen Jim das Geld gegeben hätten? Lita hätte das Haus neu einrichten könne n … oder sich in Florida einen Bungalow baue n … oder Schmuck kaufe n … Es gibt so vieles, was ihr Spaß macht.»
«Vieles, was ihr Spaß macht!» Er brach in ein bitteres Lachen aus. «Dieser Geldbetrag hätte sie keine Woche lang mit Spaß versorgt!» Auf seinem Gesicht machte sich ein Ausdruck grimmiger Erkenntnis breit. «Sie will die ganze Welt haben – oder was sie sich darunter vorstellt. Eine Frau, der Klawhammer ein verlockendes Angebot in Aussicht gestellt hat! Mrs Landish hat mir die Zahl genannt – diese Leute könnten uns alle aufkaufen, ohne dass es sie juckt.»
Pauline verließ aller Mut. Offenbar hatte er Dinge über Lita erfahren, von denen sie noch immer keine Ahnung hatte. «Ich wusste nicht, dass er ihr tatsächlich ein Angebot gemacht hat. Aber wenn das stimmt und wenn sie es annehmen will, wie könnten wir sie daran hindern?»
Manford hatte sich in seinen Sessel geworfen. Nun stand er wieder auf, zündete erneut seine Zigarre an und ging einmal durchs Zimmer und zurück, bevor er antwortete. «Ich weiß nicht, ob wir es können, und ich weiß nicht, wie. Aber ich möchte es versuche n … Ich brauche Zeit, um es zu versuche n … Verstehst du, Pauline? Sie ist ein Kind, wir dürfen nicht streng mit ihr sein. Ihre Anfänge waren abscheulic h … Vielleicht weißt du e s … Ja? Dieses verfluchte Mahatma-Haus?» Pauline zuckte zusammen und wandte den Blick ab. Er hatte das Foto also gesehen! Und weiß der Himmel, was er im Lauf seiner Nachforschungen für die Lindons noch alles herausgefunden hatte. Plötzlich ging ihr grell und schreiend ein Licht auf. Wegen Jim und Lita hatte er den Fall abgelehnt, seine Überzeugungen geopfert, seine Pflicht verraten, einen gesellschaftlichen Übelstand aufzudecken! Sie stammelte: «Ich wei ß … ein weni g …»
«Gut, ein wenig reicht schon. Ein Schwein! Und das ist die verderbte Atmosphäre, in der sie aufgewachsen ist. Aber sie ist nicht schlecht, Paulin e … Man kann noch etwas aus ihr machen. Gib mir Zei t … Zeit.» Er hielt jäh inne, als sei ihm das «mir» aus Versehen herausgerutscht. «Wir alle müssen Schulter an Schulter diesen Kampf für sie ausfechten», korrigierte er sich mit einem Anflug von forensischem Pathos.
«Natürlich, mein Lieber, natürlich», murmelte Pauline.
«Wenn wir sie zu uns nach Cedarledge holen, du, Nona und ic h … Im Übrigen ist es vielleicht ganz gut, dass Jim wegfährt. Er macht sie nervös; Jim ist nämlich manchmal ein wenig schwer von Begriff. Vor allem braucht er von der ganzen Geschichte mit Klawhammer und so weiter nichts zu erfahren. Wir halten alle den Mund, bis die Sache vorüber ist, ja?»
«Natürlich», pflichtete sie ihm wieder bei. «Aber angenommen, Lita möchte mit mir reden?»
«Dann lass sie reden – hör zu, was sie zu sagen ha t …» Er hielt inne und fügte dann mit rauer, unsicherer Stimme hinzu: «Nur sei nicht streng mit ihr. Bitte, ja? Egal, welchen Unsinn sie redet. Das Kind hat nie eine richtige Chance gehabt.»
«Wofür hältst du mich, Dexter?»
«Nein, nein, schon gu t …» Er stand auf und maß das Zimmer mit leerem, bedächtigem Blick, er ließ ihn so lange auf seiner Frau ruhen, bis diese – trotz des malvenfarbenen Kaminkleids und der chinesischen Amethyste, des Hauchs von Rouge und der silbernen Sandalen – den Eindruck bekam, nur eine Glasscheibe zu
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