Dämmerschlaf - Roman
Stimme.
«Ach Unsinn, Aggie! Lass das doch. Ich weiß natürlich, worum es geht.»
Aggie wurde merklich blasser, aber die Rolle der Gastgeberin siegte über ihr Gefühl, und sie schob einen vergoldeten Stuhl nach vorn. «Nimm bitte Platz.» Sie selbst setzte sich in eine Sofaecke daneben. Über ihr hielt Aggies Großmutter in einem verschnörkelten Goldrahmen ein Taschentuch aus Brüsseler Spitze in der Hand und stützte einen gerüschten Ellbogen auf ein Samttischtuch mit Quastenfransen.
«Du sagst, du weiß t …», begann Aggie.
«Natürlich.»
«Stanle y … er hat es dir gesagt?»
Nonas Nerven fingen an zu zucken und sich zu winden wie ein Nest junger Vipern. Wie lange würde sie diese lähmende Einleitung noch ertragen? «Ja, er hat es mir gesagt.»
Aggie senkte den Blick und starrte auf ihre schmalen weißen Hände. Dann lief ein erstes Zittern über ihre Lippen und schob die Stirn in kleine, verlegene Falten.
«Ich möchte nicht, dass du glaubst, ich hätte einen Grund zur Klage über Stanley – überhaupt nicht. Es ist niemals ein unfreundliches Wort gefalle n … Wir haben immer in bestem Einvernehmen zusammengelebt.»
Unter dem Eindruck, dass etwas wie eine Antwort von ihr erwartet wurde, gab Nona ein unbestimmtes Murmeln von sich.
«Doch jetz t … hat e r … hat er mich verlassen», schloss Aggie, und die Worte entrangen sich ihr mühsam und silbenweise. Sie hob eine Hand und strich eine glatte Haarsträhne zurück, die sich auf ihre Stirn verirrt hatte.
Nona schwieg. Sie saß da, den Blick fest auf diese kleine, zitternde Maske gerichtet. Ein wirkliches Gesicht konnte man das kaum nennen, denn es hatte wahrscheinlich noch nie ein Gefühl ausdrücken müssen, das von Grund auf und ausschließlich von Aggie stammte.
«Das weißt du auch?», fuhr Aggie fort, auf einen sachlichen Ton bedacht.
Nona deutete eine Bejahung an.
«Er kann mir nichts vorwerfen, gar nichts. Das hat er mir ausdrücklich gesagt.»
«Ja, ich weiß. Das ist das Schlimmste daran.»
«Das Schlimmste?»
«Nun ja, sonst hättet ihr euch ordentlich streiten können, und alles wäre wieder gut gewesen.»
Plötzlich fühlte Nona Aggies Blick starr, gierig und durchdringend auf sich gerichtet. «Habt ihr beide euch immer ordentlich gestritten, wie du das nennst?»
«Oh, stundenlang, immer wenn wir uns gesehen haben!» Nicht um alles in der Welt hätte Nona den spöttischen Triumph in ihrer Stimme unterdrücken können.
Aggies Lippen wurden noch schmaler. «Ihr seid immer enge Freunde gewesen, ich weiß; er hat es mir oft gesagt. Aber wenn ihr ständig gestritten habt, wie konntet ihr euch da noch gegenseitig achten?»
«Ich weiß nicht, ob wir uns geachtet haben. Jedenfalls hatten wir nie Zeit, darüber nachzudenken, denn wir mussten uns ja immer versöhnen.»
«Versöhnen?»
«Aggie», brach es plötzlich aus Nona heraus, «hast du nie erlebt, wie es ist, wenn dich ein Mann ganz fest umarmt und du so viel Glück empfindest, dass du damit einen ganzen Garten zum Duften bringen könntest?»
Aggie riss die Augen auf, und ihr Blick verriet fast etwas wie Entsetzen. Das von Nona gewählte Bild schien ihr nichts zu sagen, doch die Frage traf sie offensichtlich mit tödlicher Wucht. «Ein Mann – welcher Mann?»
Nona lachte. «Nun ja, zum Beispiel – Stanley!»
«Ich kann mir nicht vorstellen, warum du so seltsame Fragen stellst, Nona. Wie sollten wir uns versöhnen, wenn wir uns nie gestritten haben?»
«Ist es seltsam, wenn ich dich frage, ob du deinen Mann jemals geliebt hast?»
«Es ist seltsam, wenn du mich das fragst», antwortete die Ehefrau schlicht.
Nonas rasche Entgegnung erstarb unausgesprochen, und sie spürte, wie sie wieder einmal langsam und verstohlen bis unter die Haarwurzeln errötete. «Entschuldige bitte, Aggie. Ich bin entsetzlich nervös, und du wohl auch. Sollen wir nicht noch einmal von vorn anfangen? Weswegen wolltest du mich sehen?»
Aggie schwieg einen Augenblick, als nähme sie alle Kraft zusammen, dann antwortete sie: «Um dir zu sagen, dass ich mich, wenn er dich heiraten will, einer Scheidung nun nicht mehr widersetze.»
«Aggie!»
Beide saßen einander schweigend gegenüber, als hätten sie einen Punkt erreicht, jenseits dessen sich ihr Zwiegespräch nicht mehr mit Worten fortführen ließ. Nonas Fantasie raste los bis an die äußersten Grenzen menschlichen Glücks und kam geknickt und mit gebrochenen Flügeln zurückgekrochen.
«Aber nur unter genau dieser Bedingung», begann
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