Dämmerschlaf - Roman
eingeschärft, Lita der Familie nicht zu entfremden oder ihr Angst einzujagen, und die beiden Frauen hatten sich mit einem Kuss verabschiedet. Manford hatte verlangt, Lita müsse dazu gebracht werden, mit ihrer endgültigen Entscheidung bis nach Cedarledge zu warten, und auch da hatte sie eingewilligt. Rückblickend fiel Pauline plötzlich auf, wie rasch Lita nachgegeben hatte, und sie war beeindruckt von ihrem eigenen taktischen Geschick. Es war doch etwas dran an diesen Willensübungen, diesem lächelnden Entschluss, alles Hinderliche und Unangenehme entweder zu ignorieren oder zu beseitigen. Fast erschreckend leicht hatte sie sich in dem Punkt durchgesetzt, um den Jim, Manford und Nona vergebens gekämpft hatten. Und vielleicht war Litas entsetzliche Unterstellung keine vorsätzliche Unverschämtheit gewesen, sondern nur ein unbewusstes Bekenntnis zu neuen Normen. Die jungen Leute heutzutage waren trotz ihrer langen Wörter und ihres nüchternen Realismus im Grunde kindlicher als je zuvo r …
In Paulines Boudoir lag Nona zusammengerollt vor dem Kamin, das Kinn in die Hände gestützt, und hob den Kopf, als ihre Mutter hereinkam. Zu wissen, dass sie erwartet wurde und die Frage nach Sieg oder Niederlage beantworten konnte, schenkte Pauline das heilsame Gefühl wiedererlangter Autorität. «Es ist alles in Ordnung, Liebling», verkündete sie, «nur ein kleiner Sommerschauer. Ich habe es ja immer gesagt, es gibt keinen Grund zur Sorge.» Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: «Siehst du, Nona, manche Leute hören eben noch zu, wenn deine alte Mutter mit ihnen redet.»
19
Wenn Aggie Heuston wenigstens diese apfelgrünen Vorhänge im vorderen Wohnzimmer ausgewechselt hätte, dachte Nona – wenn sie die abstoßenden vergoldeten Stühle durch weich gepolsterte Sessel ersetzt und in die Intarsienvitrinen statt der blauen Porzellanhunde und der Meißner Schäferinnen Bücher gestellt hätte, dann wären drei Leben vielleicht ganz anders verlaufe n …
Aber Aggie waren die Farben der Vorhänge oder die steifen Möbel wahrscheinlich nie aufgefallen. Und Bücher hatte sie mit Sicherheit nie vermisst. Sie hatte das Haus akzeptiert, wie es von ihren Eltern auf sie gekommen war, und die hatten es ihrerseits mit all seiner faden Frivolität von den eigenen Eltern übernommen. Jedes einzelne plumpe Detail verkörperte den New Yorker Luxus der Siebzigerjahre, von den riesigen Zentifolien auf dem Aubusson-Teppich 47 bis zu den dreilagigen Vorhängen, die die Aristokratie der Gründerzeit vor dem plebejischen Eindringen von Licht und Luft schützen sollten.
«Komisch», dachte Nona wieder, «dass all diese Hässlichkeit mich so reizt und für Aggie so wenig Bedeutung hat, als stünde das Haus eine Straße weiter. Ich weiß, sie ist eine Heilige. Aber ich würde eine Heilige bevorzugen, die hässliche Möbel verabscheut und trotzdem lächelnd zwischen ihnen lebt. Wo liegt das Verdienst, wenn man die Hässlichkeit gar nicht wahrnimmt?» Sie machte sich an die Betrachtung einer Vitrine, in der Aggie in kindlicher Pietät das samten-silberne Brillenetui ihrer Mutter und das elfenbeinerne Opernglas ihres Vaters sowie einen alabasternen Schiefen Turm und eine Miniaturkopie von Carlo Dolcis Magdalena 48 aufbewahrte.
Seltsamer toter Müll – aber noch seltsamer, dass eine verblüffende innere Distanz es Nona in diesem Augenblick und in diesem Haus gestattete, darüber zu lächeln. Wo, dachte sie, endete das eigene Sein und wo begann das von anderen – von Menschen, Landschaften, Stühlen oder Brillenetuis? Seit Nona am Abend zuvor Aggies steifes, gequältes Briefchen erhalten hatte, das von einem zahnwehgeplagten Kind hätte verfasst sein können, fragte sie sich besorgt, ob ihr eigenes Ich nicht auch Spuren und Fasern von Aggie enthielt. Es war alles so ein unentwirrbares Kuddelmudde l …
Jetzt kam sie. Nona hörte das trockene Klackern ihrer Schritte auf der Treppe und auf dem nackten, gebohnerten Boden der Diele. Sie hatte geschrieben: «Wenn du es ohne allzu große Umstände einrichten könntest, bei mir vorbeizuschaue n …» Das war Aggies größtmögliche Annäherung an eine freundliche Einladung! Und als sie nun die Tür öffnete und über die Zentifolien auf sie zuschritt, sah Nona, dass ihr schmales Gesicht mit den zu eng stehenden Augen und dem großen, geradlinigen, blassrosa Mund aus neuer Sorge noch hagerer geworden waren.
«Es ist sehr nett, dass du da bist, Nona», begann sie mit ihrer hellen, bemühten
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