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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Aggie wieder mit wohlerwogener Betonung.
    «Unter der Bedingung, dass er mich heiratet?»
    Aggie nickte zustimmend. «Ich habe ein Recht, Bedingungen zu stellen. Und ich möcht e …», sie stockte plötzlich, «ich möchte, dass du ihn vor Cleo Merrick rettest.» Ihre immer gleich klingende Stimme brach, und zwei Tränen bahnten sich einen Weg durch die Wimpern und liefen langsam ihre Wangen hinunter.
    «Ihn vor Cleo Merrick retten?» Nona glaubte sich lachen zu hören. Ihre Gedanken hinkten hinter ihren Worten her, als schleppte sie sich über ein frisch gepflügtes Feld bergauf. «Ist es für diesen Versuch nicht reichlich spät? Du sagst, er sei schon mit ihr weg.»
    «Er hat sie irgendwo getroffen, ich weiß nicht, wo. Er hat mir aus dem Club geschrieben, bevor er losfuhr. Aber ich weiß, dass sie erst übermorgen auslaufen, und du musst ihn zurückholen, Nona, du musst ihn retten. Es ist zu schrecklich. Er kann sie nicht heiraten; sie hat irgendwo einen Mann, der es ablehnt, sich von ihr scheiden zu lassen.»
    «Wie bei dir und Stanley!»
    Aggie fuhr zurück, als sei sie geschlagen worden. «O nein, nein!» Sie blickte Nona verzweifelt an. «Wenn ich es doch sage, ich weigere mich jetzt nicht meh r …»
    «Nun ja, vielleicht weigert sich Cleo Merricks Mann auch nicht mehr.»
    «Das ist etwas anderes. Er ist Katholik; seine Kirche lässt eine Scheidung nicht zu. Und die Ehe kann nicht annulliert werden. Stanley wird einfach mit ihr zusammenlebe n … offe n … und sie wird überall mit ihm hingehe n … als wären sie Mann und Fra u … und alle werden wissen, dass sie es nicht sind.»
    Nona saß schweigend da und dachte mit zusammengekniffenen Lippen und insgeheim spöttelnd über das Bild nach, das hier so mitleidlos beschworen wurde. «Nun ja, wenn sie ihn liebt.»
    «Ihn liebt? Eine solche Frau?»
    «Auf jeden Fall ist sie bereit, Opfer für ihn zu bringen. Das hat sie uns beiden voraus.»
    «Aber merkst du nicht, wie schrecklich es für die beiden ist, so zusammenzuleben?»
    «Ich merke nur, dass Stanley nichts Besseres passieren konnte, als eine Frau zu finden, die beherzt genug ist, ihm das zu geben, was er wollte und was du und ich ihm verweigert haben.»
    Sie sah, wie Aggies leblose Wangen rot wurden. «Ich weiß nicht, was du mi t … verweigern meins t …»
    «Ich meine sein Glück, weiter nichts. Du hast ihm doch eine Scheidung verweigert, oder? Und ich habe mich geweigert, zu tu n … was Cleo Merrick tut. Und nun sitzen wir beide hier auf den Trümmern, und alles ist aus, zumindest was dich und mich betrifft.»
    «Aber es ist nicht aus – es ist noch nicht zu spät. Ich sage dir, es ist noch nicht zu spät! Er wird sie sogar jetzt noch verlassen, wenn du ihn darum bittest. Ich weiß es!»
    Nona erhob sich mit einem trockenen Lachen. «Danke, Aggie. Vielleicht würde er das tun – nur werden wir es nie erfahren.»
    «Nie erfahren? Aber ich sage dir doc h …»
    «Ich mag ein Feigling gewesen sein, aber das ist noch kein Grund, sich wie ein Aas aufzuführen.» Nona knöpfte ihren Mantel zu und hakte sich mit raschen, gezielten Bewegungen den Pelz um den Hals, als wappne sie sich gegen die tückische Süße, die sich in ihre Seele stahl. Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht einen Augenblick länger in diesem stickigen Raum bleiben zu können, Auge in Auge mit diesem Elend, das einem dem Atem nahm. «Die bessere Frau hat ihn bekommen – soll sie ihn behalten», sagte sie. Sie streckte die Hand aus, und einen Augenblick lang berührten Aggies kalte, feuchte Finger die ihren. Dann wurden sie zurückgezogen, und Aggie packte Nona am Ärmel. «Aber Nona, hör zu! Ich verstehe dich nicht. Ist es nicht das, was du dir immer gewünscht hast?»
    «Oh, mehr als alles auf der Welt!», rief das Mädchen und wandte sich atemlos ab.
    Die Haustür fiel hinter ihr ins Schloss. Sie blieb oben an der Treppe stehen und blickte zurück auf die von ihr beschriebenen Trümmer, auf denen sie und Aggie Heuston saßen.
    «Ich glaube, ich weiß ganz genau, wie man sich heutzutage gemein verhält», murmelte sie vor sich hin, «ich wollte nur, ich wüsste auch, wie man sich anständig verhäl t …»

DRITTER TEIL

20
    Am Tor von Cedarledge blickte Pauline von den Briefen und Papieren auf, die Maisie Bruss ihr ins Auto geworfen und die sie soeben noch einmal überflogen hatte.
    Der Aufbruch aus der Stadt war turbulent verlaufen. Bis zur letzten Minute war es das übliche Gehetze und Gezappel gewesen, Maisie hing am

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