Daemmerung der Leidenschaft
besorgen; da kann ich dann auch gleich dafür sorgen, daß dieser hier abgeschleppt wird. Wenn jemand nachhaken sollte, hatte ich einfach Probleme mit Steinschlag.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich muß mich beeilen, sonst komme ich zu spät zur Ouvertüre.«
Die Gäste wurden in einer halben Stunde erwartet, und Webb war immer noch nicht aufgetaucht. Die ganze Familie versammelte sich um Lucinda, einschließlich seiner Mutter und Tante Sandra. Yvonne begann unruhig auf und ab zu laufen, denn Webb kam eigentlich nie zu spät, und auch die alte Dame wurde zunehmend nervös.
Roanna saß ganz still da und unterdrückte ihre Besorgnis. Sie ließ erst gar keine Gedanken an einen Autounfall aufkommen, denn das konnte sie nicht ertragen. Ihre Eltern waren auf diese Weise ums Leben gekommen, und seitdem schrak sie allein vor der Eventualität zurück. Wenn sie auf der Autobahn an einem Unfall vorbeikam, starrte sie nie neugierig hin wie die anderen, sondern fuhr so rasch sie konnte mit abgewandtem Blick vorbei. Webb durfte keinen Unfall haben, so einfach war das.
Sie hörten, wie die Haustür aufging, und Yvonne eilte ihm sofort entgegen. »Wo warst du bloß so lange?« überfiel sie ihn mit der Ungeduld einer besorgten Mutter.
»Ich hatte eine Panne«, erwiderte Webb und rannte auch schon, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Fünfzehn Minuten später war er wieder da, frisch rasiert und – auf Lucindas Geheiß – im Smoking.
»Entschuldigt, daß ich mich verspätet habe«, verkündete er seinen Angehörigen und ging zum Likörschränkchen. Er goß sich einen Tequila ein und trank ihn mit einem Schluck aus. Dann setzte er das Glas ab und grinste frech in die Runde. »Die Show kann beginnen.«
Roanna vermochte die Augen nicht von ihm abzuwenden. Trotz des feinen Smokings sah er aus wie ein Seeräuber. Sein dunkles, ordentlich zurückgekämmtes Haar war noch feucht von der Dusche. Er bewegte sich mit der Grazie und dem Selbstbewußtsein eines Mannes, für den offizielle Abendkleidung zur Tagesordnung gehörte. Sein Jackett saß perfekt auf den breiten Schultern, und die Hose war weder zu weit noch zu eng. Webb sah immer gut aus, egal, was er anzog; er konnte sich alles leisten. Sie hätte gedacht, daß keiner besser aussah in Karohemd, Jeans und Cowboystiefeln; doch nun mußte sie zugeben, daß er auch im Smoking eine perfekte Figur machte. Glänzende schwarze Knöpfe zogen sich in schnurgerader Linie über sein makellos weißes Smokinghemd, das an der Verschlußleiste gefältelt war. Dieselben Knöpfe glänzten auch an den weißen Manschetten.
Sie hatte seit der Nacht, in der er in ihr Zimmer gekommen war und sie ihm ihr Schlafwandeln gebeichtet hatte, nicht mehr allein mit ihm gesprochen. Webb untersagte ihr jede Arbeit, bis der Hausarzt sie untersuchte und grünes Licht gäbe – was erst gestern der Fall gewesen war. Sie hatte sich in den ersten Tagen auch gar nicht nach Arbeit oder überhaupt irgendwelchen Aktivitäten gesehnt. Sie rührte sich kaum von der Stelle, denn die Kopfschmerzen waren doch ziemlich stark, und bei der geringsten Bewegung wurde ihr wieder übel. Erst in den letzten zwei Tagen waren die Kopfschmerzen verschwunden, und mit ihnen auch die Übelkeit. Aber das Tanzen würde sie heute abend sicher noch nicht riskieren.
Webb war sehr beschäftigt gewesen und nicht nur mit Geschäftlichem. Er mußte den Einbau von stahlverstärkten Türen an den Haupteingängen überwachen, das Anbringen von Sicherheitsschlössern an den Fenstern und auch an den Terrassen- und Balkontüren – sowie die Installation einer Alarmanlage, die derart schrill war, daß sie den Kopf unter ein Kissen stecken mußte, als sie getestet wurde. Wenn sie nicht schlafen konnte und ihre Balkontür aufmachen wollte, mußte sie künftig zuerst eine Zahlenkombination in die kleine Box eintippen, die nun neben den Fenstern eines jeden Zimmers hing. Wenn sie die Tür ohne Eingabe der Zahlen öffnete, ging der Alarm los, ein schrilles Läuten, das jeden senkrecht aus dem Bett katapultierte.
Bei seiner ganzen Arbeit und ihren Kopfschmerzen hatte sich einfach keine Gelegenheit mehr für ein Gespräch unter vier Augen ergeben. Nach all der Aufregung und ihrer Verletzung war ihr der Vorfall beim Ausritt auch irgendwie gar nicht so peinlich. Seit seinem mitternächtlichen Besuch in ihrem Zimmer hatten beide das Thema gemieden, als ob sie am liebsten gar nicht mehr daran denken wollten.
»Allmächtiger,
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