Daemmerung der Leidenschaft
Zwiebelstückchen aus der Thunfisch-Füllung auszusortieren und zu einem kleinen Häufchen am Tellerrand zusammenzuschieben.
»Deine Manieren sind wirklich beklagenswert«, schalt Tante Gloria und nahm geziert einen Bissen Thunfisch auf die Gabel. »Um Himmels willen, Roanna, du bist siebzehn, also wirklich alt genug, um aufzuhören, mit deinem Essen herumzuspielen wie eine Zweijährige.«
Roannas ohnehin karger Appetit erstarb völlig, sie spürte den vertrauten Knoten im Magen und die Übelkeit, die ihn begleitete. Die Tante erntete einen haßerfüllten Blick.
»Ach, das tut sie immer«, meinte Jessie hochmütig. »Sie ißt wie ein Ferkel, das im Trog nach den besten Stücken wühlt.«
Bloß um ihnen zu zeigen, daß es ihr egal war, zwang sich Roanna zu zwei Bissen Thunfisch, die sie mit dem Großteil ihres Eistees herunterspülte, damit sie nicht irgendwo auf halbem Weg in der Speiseröhre steckenblieben.
Sie bezweifelte, daß er es aus Taktgefühl tat, war aber dennoch froh, als Onkel Harlan in diesem Moment über die Reparaturen zu sprechen begann, die an seinem Auto fällig wurden, oder ob es wohl ratsam wäre, gleich ein neues zu kaufen. Wenn sie sich einen Wagen leisten konnten, dachte Roanna, dann hätten sie es sich ja wohl auch leisten können, in ihrem Haus zu bleiben – was ihr die tägliche Tante Gloria erspart hätte. Jessie meinte, sie hätte auch gerne ein neues Auto; der sperrige, viertürige Mercedes, von dessen Kauf sich Webb nicht hatte abbringen lassen, langweilte sie. Dabei hatte sie ihm doch mindestens tausendmal gesagt, daß sie sich einen Sportwagen wünschte, irgendwas mit Pfeffer.
Jessie hatte ihren ersten Wagen mit sechzehn bekommen. Roanna dagegen besaß kein Auto. Sie war eine furchtbare Fahrerin, dauernd verfiel sie ins Träumen, und Großmutter hatte verkündet, daß es bestimmt im Interesse der Sicherheit aller Bürger von Colbert County lag, wenn Roanna nicht auf die Straßen losgelassen würde. Es machte ihr nicht besonders viel aus, da sie ohnehin lieber ritt als fuhr; aber nun juckte sie auf einmal eines ihrer vielen kleinen Teufelchen.
»Wißt ihr, was ich neulich gelesen habe«, sagte sie – die ersten Worte, die sie seit ihrem Eintritt ins Speisezimmer äußerte – und zwar mit Unschuldsmiene. »Protzige Autos sind oft bloß eine Penisverlängerung für ...« Sie wurde knallrot, als ihr auf einmal klar wurde, was sie damit angerichtet hatte.
Tante Glorias Augen weiteten sich entsetzt, und ihre Gabel fiel scheppernd auf den Teller. Onkel Harlan verschluckte sich beinahe an seinem Thunfisch und wurde ebenfalls knallrot.
»Junge Dame!« Großmutter schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, und Roanna zuckte schuldbewußt zusammen. »Dein Verhalten ist unmöglich«, fuhr Lucinda eisig fort, und ihre blauen Augen blitzten. »Verlasse sofort den Raum. Wir sprechen uns später.«
Roanna rutschte mit vor Verlegenheit glühenden Wangen von ihrem Stuhl. »Es tut mir leid«, flüsterte sie und rannte aus dem Speisezimmer. Sie war jedoch nicht schnell genug, um Jessies bösartigen Kommentar zu verpassen:
»Glaubt ihr, sie wird sich je zivilisiert genug benehmen, um mit Menschen essen zu können?«
»Ich bin auch viel lieber bei den Pferden«, murmelte Roanna, während sie die Haustür hinter sich zuschlug. Sie wußte, daß sie nach oben gehen und die Schuhe wechseln sollte; aber ihr Bedürfnis, sich in den Stall zu retten, wo sie sich nie unzulänglich vorkam, siegte über die Vernunft.
Loyal aß gerade seinen eigenen Lunch in seinem Büro und las eins der dreißig Pferdemagazine, die er jeden Monat erhielt, als er sie in den Stall schlüpfen sah. Er schüttelte resigniert den Kopf. Entweder sie hatte gar nichts gegessen, was ihn nicht weiter überraschte, oder sie hatte ihre Familie wieder vor den Kopf gestoßen, was ebenfalls sein konnte. Wahrscheinlich beides. Die arme Roanna war ein kantiges kleines Ding, das sich einfach nicht in eine normale Form pressen ließ. Unter der Last permanenter Mißbilligung kauerte sie sich einfach zusammen und ertrug es, bis ihre Frustration zu mächtig wurde, um sich noch länger unterdrücken zu lassen; dann wehrte sie sich, aber leider gewöhnlich auf eine Weise, die noch mehr Unannehmlichkeiten nach sich zog. Wenn sie nur halb so viel Gemeinheit wie Miss Jessie besäße, dann ginge sie hinterrücks vor und zwänge die anderen, sie so zu akzeptieren, wie sie war. Aber Roanna hatte nicht einen bösartigen Knochen im Leib, weshalb
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