Daemmerung der Leidenschaft
wahrscheinlich auch Tiere sie so liebten. Allerdings steckte sie voller Schalk, wodurch sie sich dann jegliche Sympathien verscherzte.
Er sah zu, wie sie von Box zu Box ging und die Finger über das glatte Holz gleiten ließ. Nur ein Pferd befand sich im Stall, Mrs. Davenports Lieblingstier, ein grauer Wallach, der sich am rechten Vorderbein verletzt hatte. Loyal hielt ihn für heute mit kalten Packungen ruhig, um die Schwellung zum Abklingen zu bringen. Er hörte Roannas sanfte Stimme und sah, wie sie den Kopf des Tiers streichelte. Er mußte lächeln, als er den beinahe ekstatischen Ausdruck des Pferdes sah. Wenn ihre Familie sie nur halb so akzeptieren würde wie die Pferde, dachte er, dann würde sie aufhören, sie ständig herauszufordern, in das Leben hineinwachsen, für das sie geboren war.
Jessie kam nach dem Lunch herüber und befahl einem der Knechte, ein Pferd für sie zu satteln. Roanna verdrehte die Augen, als sie Jessies hochmütige Befehle hörte; sie fing und sattelte sich ihr Pferd immer selbst, und es hätte Jessie keinen Zacken aus der Krone gebrochen, dasselbe zu tun. Um ehrlich zu sein, kamen bei ihr die Tiere fast von allein angetrabt, doch Jessie hatte den Bogen einfach nicht raus. Was zeigt, wie klug Pferde doch sind, ging es Roanna durch den Kopf.
Jessie fing den Gesichtsausdruck aus den Augenwinkeln auf und musterte ihre Cousine mit einem kühlen Blick. »Großmutter ist wütend auf dich. Es war ihr wichtig, daß wir Tante Gloria willkommen heißen; statt dessen ziehst du so eine Show ab.« Sie machte eine kunstvolle Pause und maß Roanna abfällig. »Falls es eine Show war!« Nach diesem Stich, der scharf und ungehindert in Roannas Brust fuhr, lächelte sie zuckersüß und ging davon. Zurück blieb lediglich der aufdringliche Geruch ihres teuren Parfüms.
»Abscheuliche Hexe«, murmelte Roanna und wedelte mit der Hand, um den penetranten Duft zu vertreiben.
Haßerfüllt starrte sie dem schlanken, elegant geschwungenen Rücken ihrer Cousine nach. Es war nicht fair, daß Jessie alle Schönheit für sich gepachtet hatte, sich so perfekt zu benehmen wußte, Großmutters Liebling war und noch dazu Webb hatte. Unfairer ging es gar nicht!
Nicht nur Roanna hegte Haßgefühle. Jessie schäumte förmlich vor Wut, während sie aus Davenports Hof ritt. Zur Hölle mit Webb! Sie wünschte, sie hätte ihn nie geheiratet, auch wenn das seit ihren Teenagertagen ihr erklärtes Ziel gewesen war und es jedermann für selbstverständlich gehalten hatte. Doch er war so widerwärtig arrogant und selbstsicher – immer schon –, daß sie ihn manchmal am liebsten geohrfeigt hätte. Zwei Gründe hinderten sie jedoch daran: Zum einen wollte sie nichts tun, um ihre Chancen zu gefährden, die Herrin von Davenport zu werden, wenn Lucinda einmal tot war; zum zweiten hatte sie das ungute Gefühl, daß Webb es nicht wie ein Gentleman aufnehmen würde. Nein, es war mehr als nur ein ungutes Gefühl. Allen anderen mochte er ja Sand in die Augen streuen, aber sie kannte diesen rücksichtslosen Bastard besser!
Es war wirklich dumm von ihr gewesen, ihn zu heiraten. Sicher hätte sie Großmutter dazu bewegen können, ihr Testament zu ändern und Davenport ihr zu hinterlassen statt Webb. Immerhin war ja sie eine Davenport und Webb nicht. Von Rechts wegen stand ihr das Erbe zu. Statt dessen hatte sie den verdammten Tyrannen heiraten müssen und damit einen unverzeihlichen Fehler begangen. Grimmig mußte sie zugeben, daß sie ihren Charme und seine Manipulierbarkeit überschätzt hatte. Sie dachte, sie wäre so clever gewesen, vor der Heirat nicht mit ihm zu schlafen; der Gedanke, ihn zu frustrieren, hatte ihr gefallen und auch das Bild, wie er hinter ihr herhechelte wie ein geiler Hund. Es war nie wirklich so gewesen, dennoch hatte ihr die Vorstellung große Freude bereitet. Und dann erfuhr sie zu ihrem Leidwesen, daß das Scheusal, statt zu leiden, weil er sie nicht haben konnte, mit anderen Frauen schlief – während er darauf bestand, daß sie ihm treu war!
Nun, sie hatte es ihm gezeigt. Er war noch dümmer als sie, wenn er wirklich glaubte, sie hätte sich all die Jahre für ihn »aufgehoben«, während er es mit all den Schlampen auf dem College oder im Büro trieb. Natürlich versaute sie sich nicht ihren eigenen Spielplatz; aber sobald sie es schaffte, sich für einen Tag oder ein Wochenende zu absentieren, hatte sie immer auch gleich einen willigen Typen gefunden, um ein wenig Dampf abzulassen, sozusagen. Männer
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