Daemmerung der Leidenschaft
neu einzurichten. Sie und Lucinda waren in die Stadt gefahren, um Stoffe und Muster auszusuchen; aber Großmutter hatte im Stoffladen eine alte Freundin getroffen, und Jessie war es ziemlich schnell langweilig geworden. Sie hatte ihre Wahl längst getroffen, also gab es keinen Grund, hier noch länger herumzuhängen und den beiden alten Schachteln beim Tratschen zuzuhören. Lucinda gab sie Bescheid, daß sie ins Restaurant nebenan gehen und sich eine Cola kaufen würde, und machte sich dann aus dem Staub.
Jessie war auch wirklich dort eingekehrt; sie hatte schon sehr früh gelernt, daß man ihr viel mehr durchgehen ließ, wenn sie das, was sie wirklich vorhatte, verschob auf hinterher. Auf diese Weise konnte man ihr nicht vorwerfen, daß sie log, um Gottes willen. Und die Leute wußten, wie impulsiv Teenager waren. Also hatte sich Jessie anschließend, das eiskalte Cola in der Hand, zu dem Zeitungsstand verdrückt, wo auch schmutzige Zeitschriften verkauft wurden.
Es war nicht wirklich ein Kiosk, sondern vielmehr ein chaotischer kleiner Laden, in dem man Hobbywerkzeug, ein paar Make-up- und Toilettenartikel, darunter »Hygieneartikel« wie Gummis, zusammen mit einer Riesenauswahl an Zeitschriften, Taschenbüchern und auch Zeitungen erwerben konnte. Newsweek und Good Housekeeping standen da mit all den anderen »anständigen« Magazinen in erster Reihe, aber die verbotenen gab es in einem Regal im Rückteil des Ladens, das hinter einem Tresen verborgen lag, und zweifellos hatten Kinder dort nichts zu suchen. Aber der alte McElroy litt unter schlimmer Arthritis und verbrachte die meiste Zeit auf einem Stuhl hinter der Ladenkasse. Er konnte nicht sehen, was in seinem Rücken vorging, außer, wenn er aufstand, und das tat er nur sehr selten.
Jessie lächelte den alten McElroy entwaffnend an und schlenderte dann zur Kosmetikabteilung, wo sie in aller Ruhe ein paar Lippenstifte inspizierte und schließlich ein rosa Lipgloss auswählte, ihr Alibi, falls sie erwischt wurde. Als ein Kunde seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, duckte sie sich rasch und schlüpfte in den hinteren Teil des Ladens.
Nackte Frauen räkelten sich auf diversen Covers, aber Jessie gönnte ihnen lediglich einen verächtlichen Blick. Wenn sie eine nackte Frau sehen wollte, dann brauchte sie sich bloß auszuziehen. Was ihr gefiel, waren die Nudistenmagazine, in denen nackte Männer posierten. Meistens waren ihre Schwänze klein und schrumpelig, aber manchmal gab es auch den einen oder anderen Kerl mit einem schönen fetten. Die Nudisten behaupteten, daß nichts Erotisches daran war, nackt herumzulaufen, aber nach Jessies Meinung logen sie. Warum sonst wurden diese Männer so hart wie Großmutters Hengst, bevor er eine Stute bestieg? Sie schlich sich, so oft sie konnte, in den Stall, um dabei zuzusehen, auch wenn alle entsetzt gewesen wären über ihre Neugier.
Jessie grinste hämisch. Aber sie wußten eben nichts und würden es auch nie erfahren. Sie war viel zu schlau für sie mit ihren zwei vollkommen unterschiedlichen Gesichtern, wovon die Leute nicht die geringste Ahnung hatten. Da gab es die Jessie, die alle kannten, die Kronprinzessin von Davenport, das beliebteste Mädchen in der Schule, das jedermann mit ihrer Fröhlichkeit bezauberte und sich strikt weigerte, Alkohol und Zigaretten zu konsumieren wie die anderen Kids. Und dann gab es die wahre Jessie, die die Pornos unter ihre Bluse schob und mit einem süßen Lächeln für Mr. McElroy aus dem Laden marschierte. Die wahre Jessie stahl Geld aus der Brieftasche ihrer Großmutter, nicht weil sie etwas Bestimmtes gebraucht hätte, sondern einfach aus Spaß und Spannung.
Die wahre Jessie liebte es, die kleine Göre Roanna zu quälen, liebte es, sie zu kneifen, wenn niemand hinsah, liebte es, sie zum Heulen zu bringen. Roanna war eine ungefährliche Zielscheibe, da sie ohnehin keiner richtig mochte und alle sowieso eher Jessie glaubten als ihr, falls sie petzte. Seit einiger Zeit haßte Jessie die Gans richtig, anstatt sie nur lästig zu finden. Webb schlug sich aus irgendeinem Grund immer auf ihre Seite, und das machte Jessie rasend. Wie konnte er es wagen, Roannas Partei zu ergreifen statt ihre?
Eine genüßliche Zuversicht malte sich auf ihren Zügen. Sie würde ihm schon zeigen, wer der Boß war. Vor kurzem hatte sie eine neue Waffe entdeckt, eine Waffe, die mit dem Wachstum und den Veränderungen ihres Körpers zu tun hatte. Sex faszinierte sie schon seit Jahren, aber nun begann sie sich
Weitere Kostenlose Bücher