Daemmerung der Leidenschaft
Linie seines Mundes und seine kühle, angespannte Haltung. Hier sah sie einen Mann, der nicht nur bereit war, es mit der Welt aufzunehmen, sondern ihr auch seinen Willen aufzuzwingen. Was immer er hinter sich haben mochte, egal, welchen Herausforderungen er sich gestellt hatte, er war als Sieger hervorgegangen.
Roanna wußte über einige dieser Herausforderungen Bescheid, denn seine Akte förderte einiges zutage. Als Viehdiebe seine Rinderherde dezimierten und die örtlichen Gesetzeshüter außerstande gewesen waren, dem einen Riegel vorzuschieben, hatte sich Webb ganz allein an die Fersen der Halunken geheftet und war ihnen bis nach Mexiko gefolgt. Die Viehdiebe hatten ihn bemerkt und sofort das Feuer eröffnet. Webb hatte zurückgeschossen. Zwei Tage lang soll dieser Kampf gedauert haben. Am Ende war einer der Viehdiebe tot gewesen, einer schwer verletzt und ein Dritter hatte sich beim Sturz von einem Felsen eine Gehirnerschütterung zugezogen. Webb selbst war leicht verwundet gewesen, ein Streifschuß am Oberschenkel, und litt unter akutem Flüssigkeitsmangel. Die Viehdiebe hatten einsehen müssen, daß hier nichts auszurichten war, und machten sich ohne die gestohlenen Rinder aus dem Staub. Webb hatte voll Grimm seine Herde über die Grenze in die Staaten zurückgetrieben. Seitdem war er nie mehr von Viehdieben behelligt worden.
Irgendwie wirkte er gefährlich, bedrohlich – im Gegensatz zu früher. Er besaß die Aura eines Mannes, der meinte, was er sagte, und keinen Augenblick zögerte, dem auch Taten folgen zu lassen. Der stählerne Kern, der schon immer in ihm geruht hatte, war zum Vorschein gekommen. Webb besaß keine Schwächen mehr, und ganz bestimmt nicht für seine lästige kleine Cousine, die ihn in solche Schwierigkeiten gebracht hatte.
Er war nicht mehr der Mann, den sie gekannt hatte, sondern härter, rauher, ja vielleicht sogar gewalttätig geworden. Sie erkannte, daß die zehn Jahre sie beide einigermaßen umgekrempelt hatten – aber eins war geblieben: ihre Liebe zu ihm.
Physisch sah er erheblich massiver aus als früher. Er hatte schon immer einen muskulösen Körper besessen, der geborene Sportler; aber jahrelange, anstrengende körperliche Arbeit hatten ihn stahlhart werden lassen, wie eine sprungbereite Raubkatze. Seine Schultern und seine Brust waren breiter geworden. Er hatte die Ärmel aufgekrempelt, so daß sie seine Unterarme sehen konnte, und die wiesen starke Muskeln und dicke Venen auf. In der tiefen Bräune seiner Haut fanden sich an den Mund- und Augenwinkeln kleine Fältchen. Seine Haare waren länger und wirkten ein wenig ungepflegt, so als ob er nicht allzuoft zum Friseur käme. Mit seinem ehemaligen, aufwendigen »Styling« hatte das wenig zu tun. Auf Wangen und Kinn lag ein Bartschatten, der jedoch den fast verheilten Schnitt nicht verbergen konnte, der sich über seinen rechten Kiefer, vom Kinn bis zum Ohrläppchen zog. Roanna schluckte. Sie fragte sich, was ihm wohl zugestoßen sein mochte, ob die Verletzung gefährlich gewesen war.
In der Akte des Detektivs stand, daß Webb die kleine Ranch nicht nur gekauft und rasch zum Florieren gebracht hatte, sondern auch systematisch Land erwarb – nicht, wie sich herausstellte, um seine Ranch zu vergrößern, sondern wegen der Bodenschätze. Arizona war reich daran und Webb betrieb Investment. Sein Weggang von Davenport hatte ihn keineswegs in finanzielle Nöte gestürzt; er besaß eigene Ersparnisse, und die hatte er klug und weitsichtig angelegt. Wie Lucinda immer behauptete, verfügte Webb über eine ungewöhnliche Begabung für Geschäfte und Finanzen, und er hatte sie genutzt.
Seinen Wohlstand sah man ihm jedoch nicht an, nicht an seiner Kleidung zumindest. Die Cowboystiefel waren runtergewirtschaftet, die Jeans abgetragen und sein Karohemd vom vielen Waschen ausgebleicht. Er trug einen dunkelbraunen, staubigen Cowboyhut. Nogales stand im Ruf, eine Stadt zu sein, in der es für Weichlinge keinen Platz gab; und wenn man ihn so betrachtete, paßte er unbestreitbar zu der harten, rauhen Kundschaft in der schäbigen Kneipe dieser kleinen Grenzstadt, die sich so sehr von Tuscumbia unterschied wie der heimische Garten von den hiesigen Weiden.
Wenn er wollte, konnte er sie zerstören. Mit ein paar kalten, schneidenden Worten konnte er sie auslöschen. Ihr wurde ganz schlecht, wenn sie daran dachte; doch Lucindas Miene, so voller Hoffnung, als sie sich heute früh von ihr verabschiedet hatte, ging ihr einfach nicht aus dem Sinn
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