Daemmerung ueber der See
Sillitoe seine Hausaufgaben gut gemacht.
»Ich verstehe.«
Bolitho fuhr fort: »Da sind noch die Patrouillenschiffe, die gegen den Sklavenhandel von Freetown und Kapstadt vorgehen. Ihre Hilfe könnte nützlich sein. Sie kennen alle denkbaren Schlupfwinkel, sei es auch nur durch die Verhöre der gestellten Sklavenhändler.« Und er mußte wieder an Tyacke denken, den ausgezeichneten Seemann, der wegen seiner furchtbaren Gesichtsverletzung isoliert blieb, den aber die Männer, die unter ihm dienten, respektierten und wohl auf ihre Art auch liebten. Als Bolitho mit seinen Leuten dem Tode nahe gewesen war, gab es keinen, der beim Anblick der
Larne
nicht keuchend ein Dankgebet gen Himmel geschickt hätte.
Sillitoe sagte: »Das ist es, was ich an Ihnen so schätze. Sie geben keine wohlfeilen Ratschläge, sondern durchdenken sie, wie es nur ein Berufssoldat kann. Unser neuer Erster Seelord ist noch nicht bereit, sich zu beugen. Er wird es lernen.«
»Warum mußte Godschale gehen?«
Sillitoe meinte kühl: »Sie sind sehr direkt. Wie Sie wissen, war Godschale den Damen zugetan. Aber er war weder beständig noch vorsichtig. Er kompromittierte eine hochstehende Dame, die er dann für eine andere sitzenließ. Unglücklicherweise war die Verlassene die Frau eines einflußreichen Mitglieds des Oberhauses. Mehr kann ich nicht sagen.«
»Er wird Bombay nicht mögen.«
Sillitoe beobachtete ihn aus dem Schatten heraus. »Das dürfte eine ziemliche Untertreibung sein.«
Es war stockfinster, als sie das Haus erreichten, aber der Regen hatte aufgehört, und zwischen den Wolken zeigten sich bereits wieder Sterne.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, Richard.«
Bolitho wandte sich halb um, eine Hand schon am Kutschenschlag. »Nun?«
»Sie werden bei Ihrem nächsten Einsatz einen guten Flaggleutnant benötigen, nachdem der junge Jenour Kommandant geworden ist. Ich denke, daß ich den richtigen für Sie habe.« Es klang, als lächelte er in der Dunkelheit. »Meinen Neffen, um genau zu sein. Zur Zeit dient er als Leutnant auf der alten
Canopus
. Das Schiff wird auf dem Nore grundüberholt.«
»Ich werde mit ihm sprechen müssen.«
»Natürlich, das werde ich arrangieren. Er ist keiner dieser aufgeblasenen Karrieremacher … Er ist intelligent und hat eine bessere Bildung als viele, die den Rock des Königs tragen.«
»Ich kann nichts versprechen.« Es war seltsam, sich vorzustellen, daß Sillitoe einen Neffen hatte und so etwas wie eine Familie. Catherine hatte ihm erzählt, daß Sillitoe ihren toten Mann, den Viscount Somervell, gekannt hatte. In welchem Zusammenhang, fragte er sich: als Spieler, als Duellant, als Betrüger? Gewöhnlich führte das eine zum anderen. Aber nicht bei Sillitoe. Er war zu klug, zu vorsichtig.
Er blickte auf das dunkle Haus. »Grüßen Sie Lady Catherine. Schade, daß sie nicht zu Hause ist.« Er klopfte an das Dach der Kutsche. »Fahr weiter!«
Bolitho berührte sein Auge. Er vertraute immer auf Catherines Instinkt, was Menschen betraf. Warte ab, hatte sie gesagt. Wenn Sillitoe im Spiel war, ein weiser Ratschlag.
Die Haushälterin öffnete die Tür und verkündete: »Ich habe den Tisch für Sie gedeckt, Sir Richard.«
»Danke, nein. Ich habe keinen Appetit, ich werde auf unser Zimmer gehen.«
Unser Zimmer.
Er schloß die Tür hinter sich und sah sich um. Ihr Parfüm hing in der Luft, und da lag das Negligé, das sie häufig vor dem Schlafengehen trug, weil er es so liebte. Es schien, als würde sie jeden Moment eintreten.
Er eilte an das Fenster, als eine Kutsche an der Straßenecke ihre Fahrt verlangsamte. Aber sie fuhr am Haus vorbei. Sie waren getrennt, weil sie befürchtet hatte, daß ihm Nachteile entstehen würden, sollte er die Einladung zurückweisen. Hamett-Parker würde wissen, daß er früh gegangen war, aber man würde ihm auch sagen, daß er mit Sillitoe zusammengewesen war. Er warf seinen schweren Uniformmantel auf einen Stuhl und grinste, als er sich vorstellte, wie indigniert Ozzard darüber sein würde.
Er legte sich hin und starrte auf die tanzenden Schatten, die die einzelne Kerze an die Decke zauberte. Er sah sie vor sich, wie sie über ihm kniete oder mit zerwühltem Haar auf den Kissen lag und ihn ohne Scham, ja voller Stolz auf ihren Körper, erwartete.
Er war bald eingeschlafen.
Keine Geheimnisse
Mitte August 1809 überwog in der Stimmung der englischen Bevölkerung Apathie und Desinteresse. Eine Ausnahme bildeten nur diejenigen, die einen geliebten
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