Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Daemmerung ueber der See

Daemmerung ueber der See

Titel: Daemmerung ueber der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
Vom Netzwerk:
war ein gewalttätiger, gefährlicher Gefangener gewesen, und man hätte ihn jetzt einfach über Bord werfen sollen wie anderen Abfall auch.
    Aber Gesetz war Gesetz, und die
Prince Henry
war trotz ihrer Unzulänglichkeiten ein Regierungsschiff.
    »Er kommt, Sir.«
    Williams seufzte.
Er
war sein einziger Passagier, Konteradmiral Thomas Herrick, der während der endlosen Wochen sehr zurückgezogen gelebt hatte. Williams hatte sich darauf vorbereitet, sein Quartier mit einem hohen Offizier teilen zu müssen, der seinem Land gute Dienste geleistet hatte, bis seine Vorgesetzten entschieden hatten, ihm die Stellung in New South Wales anzubieten. Williams verstand es nicht. Seinem schlichten Weltbild nach mußte sogar ein Konteradmiral reich sein, also hätte Herrick ablehnen und den Rest seines Lebens ruhig und bequem verbringen können. Williams fuhr seit seinem achten Lebensjahr zur See. Es war ein langer harter Weg gewesen, bis er sein erstes Kommando bekam. Er verzog den Mund. Ein verrottetes, stinkendes Sträflingsschiff, Rumpf und Rigg waren so alt, daß es kaum mehr als sechs Knoten laufen konnte. Vorher hatte die
Prince Henry
lebendes Vieh zu den vielen Armeestützpunkten in der Karibik transportiert. Sogar die Quartiermeister und Schlachter der Armee hatten gegen die Unterbringungsbedingungen der Tiere während der langen Fahrt protestiert. Aber sie waren für Menschen offensichtlich gut genug, auch wenn es der Abschaum der Gefängnisse war.
    Er berührte seinen Hut. »Guten Morgen, Sir.«
    Herrick trat neben ihn an die Reling, unbewußt wanderten seine Augen vom Steuerkompaß zu den backstehenden Segeln. Es war zur Gewohnheit geworden, seit er seine erste Wache als Leutnant gegangen war.
    »Kaum Wind.«
    Herrick wandte sich dem Begräbniskommando zu, das nach achtern blickte, als ob es auf ein Kommando wartete.
    »Wer war er?«
    Williams hob die Schultern. »Ein Schurke, ein Mörder. Er verbarg seine Verachtung nicht.«
    Herricks blaue Augen fixierten ihn. »Aber trotz alledem ein Mensch. Wünschen Sie, daß ich etwas vorlese?«
    »Damit komme ich klar, Sir. Ich habe es schon öfter gemacht.«
    Herrick dachte an Bolitho, an das Treffen in Freetown. Er wußte noch immer nicht, warum er so reagiert hatte.
Weil ich nicht heucheln kann.
Er war plötzlich unzufrieden mit sich. Er wußte, daß Williams ihn für verrückt hielt, weil er die Reise auf einem Sträflingsschiff machte, zusammen mit Männern, die er bald im Zaum würde halten müssen, an Orten, wo nur die Marine Gesetz und Ordnung aufrechterhielt. Er hätte mit einem schnellen Postschiff oder als Passagier unter seinesgleichen auf einem Kriegsschiff reisen können. Ein schlichter Seemann wie Williams würde nie verstehen, daß Herrick an Bord der
Prince Henry
gekommen war, eben weil es diese Wahlmöglichkeiten gegeben hatte.
    Williams öffnete sein kleines Buch. Er war ärgerlich, denn Marineoffiziere hielten ihn oft für dumm.
    »Die Tage des Menschen sind oft begrenzt, denn er wächst und gedeiht wie eine Blume auf dem Feld …«
    Aus dem Konzept gebracht, verstummte er, als der Ausguck im Masttopp rief: »An Deck! Segel Backbord achteraus!«
    Herrick blickte die Männer um ihn herum an. Sie dachten vermutlich dasselbe wie ihr Kapitän.
    Die
Prince Henry
hatte den Indischen Ozean für sich. Das Kap der Guten Hoffnung lag etwa dreihundert Seemeilen achteraus, und vor ihnen lagen unendliche sechstausend Meilen, bevor sie wieder Land sichten würden.
    Williams brüllte durch seine gewölbten Hände: »Was für ein Schiff?«
    Der Ausguck rief zurück: »Klein, Sir, vielleicht zwei Masten!«
    Williams spekulierte: »Vielleicht eins der unseren, Sir?« Herrick dachte an das schöne Teleskop in seiner Kabine.
    Dulcies letztes Geschenk. Er preßte die Kiefer zusammen und versuchte den Gedanken zu verdrängen. Bevor er ins Bett ging, nahm er es oft in die Hand und stellte sich vor, wie sie es für ihn ausgesucht hatte. Er spürte einen Kloß im Hals. Er wollte sich nicht einmischen, wahrscheinlich hatte Williams ohnehin recht. Sollte es ein Feind sein, dann befand er sich weit von den Positionen entfernt, wo man ihn hätte vermuten können. Er sah zu den Seeleuten hin, die immer noch wartend bei dem in Segeltuch gehüllten Leichnam standen.
    Williams schreckte aus seinen Gedanken auf. »Royals setzen, Mr. Spry! Ich glaube, die kann sie vertragen.« Er schien das Begräbniskommando zum ersten Mal zu sehen. »Worauf, zum Teufel, wartet ihr? Werft den Halunken über

Weitere Kostenlose Bücher