Daemmerung ueber der See
verlassen hatten. Es schien viel länger her zu sein, und Adam hatte viele Male über dem kurzen Brief seines Onkel gebrütet, den er selber geschrieben und den anderen Befehlen beigefügt hatte. Vielleicht traute er Trevenen nicht. Adams Gesicht verzog sich vor Abscheu. Wann immer sein Schiff in die Nähe der großen Fregatte gekommen war, hatte es dort einen endlosen Strom von Flaggensignalen gegeben. Schlimmer noch, befanden sie sich in Rufweite, hatte er seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen müssen, wenn Trevenen mit der Flüstertüte über das Wasser quengelte. Unzufriedenheit über zu wenige Berichte und Sichtungen, Beschwerden über schlechtes Halten der Position – eigentlich über alles. Die Ankunft des Schoners war wie eine Erlösung gewesen.
Damals.
Er starrte auf die Karte. Im Norden lag die große Insel Madagaskar, im Nordosten die französischen Inseln Mauritius und Bourbon. Von dort aus konnte man gut die Handelsrouten überfallen. Und niemand wußte, wie viele Schiffe der Feind einsetzte, geschweige denn, wo sie ihre Basis hatten.
Er hörte Rufe an Deck und wußte, daß sich die Wache darauf vorbereitete, das Schiff auf den anderen Bug zu bringen. So war es seit ihrer Ankunft in diesem Seegebiet immer gewesen. Jeden Tag dasselbe, nichts unterbrach die Monotonie des Drills. Aber wenigstens keine Auspeitschung. Das zeigte die Geduld, die seine Offiziere aufbrachten.
Anders auf Trevenens Kommando, dachte er. Im Rückblick erschien es ihm, daß jedesmal, wenn sich die Schiffe näher kamen, dort jemand zur Bestrafung an der Gräting hing. Weil Bolitho nicht an Bord war, schien Trevenen alle verpaßten Gelegenheiten nachzuholen.
Er dachte an Herricks Gefangennahme durch einen feindlichen Freibeuter, von der er durch den Brief seines Onkels erfahren hatte. Er war überrascht, daß er wenig Mitgefühl hegte. Er hatte Herrick stets respektiert, aber sie hatten sich nie nahegestanden, und Adam konnte ihm nicht vergeben, wie er Bolitho behandelt hatte. Gleichzeitig konnte er sich aber vorstellen, daß sein Onkel unter dem Schicksal litt, das seinen ehemaligen Freund ereilt hatte.
Seine Gedanken wanderten zu dem Kurierschoner zurück, obwohl er ihn aus seinen Gedanken verdrängen wollte. Er hatte falsch gehandelt, absolut falsch, nichts Gutes würde daraus entstehen.
Aber ich habe es getan.
Die Worte schienen sich lustig über ihn zu machen. Er hatte einen Brief geschrieben, schon bald nachdem die
Anemone
den afrikanischen Kontinent hinter sich gelassen hatte und in einen neuen Ozean eingelaufen war.
Es war, als hätte er mit ihr gesprochen, jedenfalls hatte er damals so gefühlt. Und er hatte wieder die Augenblicke durchlebt, in denen sie sich geliebt hatten, trotz der Trauer und Verzweiflung über das, was geschehen war. Sogar ihr Ärger und ihr Haß hatten ihn nicht abhalten können. Mit den vielen tausend Seemeilen zwischen ihnen und der Möglichkeit, sich vielleicht nie wiederzusehen, erschien ihm sogar die Erinnerung an ihre letzte Begegnung weniger schmerzlich. Als der Kommandant des Schoners nach Briefen gefragt hatte, konnte er seinen nicht zurückhalten. Er konnte nicht akzeptieren, daß eine solch leidenschaftliche Liebe wie die ihre so enden sollte.
Es war verrückt gewesen. Jede Nacht hatte er in der feuchten Dunkelheit seiner Kabine darüber gebrütet, was seine unbedachte Tat ihr antun konnte und dem Glück, das sie mit Keen teilte.
Er griff nach dem Kaffee, schmeckte ihn aber nicht. Wo würde das enden? Was sollte er tun?
Vielleicht würde sie den Brief sofort vernichten, wenn er sie schließlich erreichte. Bestimmt würde sie ihn nicht aufheben, es sei denn, um ihn ihrem Ehemann zu zeigen … Es klopfte an der Tür, und der Erste Leutnant blickte vorsichtig herein. Martin hatte sich weit besser in seine Pflichten gefunden, als Adam erwartet hatte. Mit dem sich nähernden Weihnachtsfest hatte er sogar das Interesse des harten Kerns wecken können. In der Kühle der Abendwache hatte er alle möglichen Wettkämpfe organisiert, vom Ringen, von dem er erstaunlich viel zu verstehen schien, bis zu Wettkämpfen in Segel- oder Bootsmanövern zwischen den einzelnen Divisionen. Bei zusätzlichen Rumrationen waren Hornpipes erklungen, und die Besatzung hatte applaudiert, wenn die Gewinner bekanntgegeben wurden.
»Was gibt's, Aubrey?«
Der Leutnant entspannte sich leicht. Wenn der Kommandant ihn mit seinem Vornamen anredete, war seine Stimmung besser als die vergangenen Tage. Er hatte
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