DAEMON
hätte ich auch nicht von Ihnen erwartet.»
Merritt steckte die DVD in die Jacketttasche.
«Zeigen Sie das Video niemandem. Noch nicht. Wenn der Daemon erfährt, dass Sie ihm auf der Spur sind, bringt er Sie um.»
«Ich zittere schon wie Espenlaub.»
Ross strebte zur Haltestelle.
Merritt hinkte hinter ihm her. «Wann bekomme ich die Beweise zu sehen?»
«Ich melde mich bei Ihnen.»
Sie waren jetzt an der Haltestelle, die mit Werbeplakatenbepflastert war. Ross blickte die Straße entlang, ob da irgendwo ein Bus kam. Er wandte sich wieder Merritt zu. «Ich werde Ihnen alles zeigen, was ich über den Daemon habe.» Er sah Merritt ernst in die Augen. «Ich glaube, Ihre Republik ist in Gefahr, Agent Merritt. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Bitte glauben Sie mir, dass ich zu Ihnen gekommen bin, weil ich dieses Video gesehen habe und daher weiß, dass Sie ein mutiger Mann sind. Die Sorte Mann, auf die Ihre Republik bei ihrer Gründung angewiesen war. Und auf die sie jetzt wieder angewiesen ist.»
Wieder fühlte Merritt Emotionen in sich aufwallen. War er naiv? Er hatte immer einem großen Ziel dienen wollen. Er mied Ross’ Blick, aus Scham, dass seine Knöpfchen so leicht zu drücken waren.
Der Bus hielt. Die Türen öffneten sich. Ross drehte sich wortlos um und reihte sich in die Schlange von Pendlern ein. Gleich darauf war er verschwunden.
Merritt sah den Bus anfahren und rang noch immer mit sich, ob er die Polizei alarmieren sollte oder nicht. Er prägte sich Liniennummer und Kennzeichen des Busses ein.
Hatte er gerade den meistgesuchten Verbrecher entkommen lassen? Er zog die DVD aus der Tasche und musterte sie. Sie trug den handgeschriebenen Titel
«Sobols Haus»
.
Irgendwie war die Sache mit dem Hoax Merritt nie ganz koscher vorgekommen. Es wirkte ein bisschen zu glatt. Im Innersten hatte er von Anfang an Zweifel gehabt, aber diese simple Geschichte in Frage zu stellen – nach dem Tod seiner Männer –, hätte doch auch schierer Eigennutz sein können. Hightech-Experten hatten die Frage für beantwortet erklärt.
Doch damals in Sobols Haus hatte Merritt Dinge gehört und gesehen, die noch niemand befriedigend erklärt hatte.
Er betrachtete die ahnungslosen Pendler, die auf ihre Busse warteten. Dann machte er sich hinkend auf den Rückweg. Ermusste zur Physiotherapie. Was auch immer kam, er würde bereit sein, und diesmal würde er sein Land nicht im Stich lassen – ob Ross nun hinter dem Ganzen steckte oder nicht.
Als Merritt sich seinen Weg durch die Wartenden bahnte, nahm er das zwei Meter hohe Haltestellenplakat hinter dem Plastik mit den eingeritzten Graffiti gar nicht wahr. Es zeigte Anji Anderson mit professionell ernster Miene und verschränkten Armen vor einem Endloshintergrund und über dem Logo ihrer Network-Nachrichtensendung
News to America
. Der Werbeslogan lautete:
«Der Name, der für Nachrichtenqualität steht …»
27 Mindmaps
Charles Mosely ging über den sonnigen Vorplatz des Gewerbekomplexes und blickte noch einmal zu dem Lexus zurück, der am Straßenrand stand. Ihm war gar nicht wohl dabei, seinen Wagen allein zu lassen – aber die Stimme konnte ja jederzeit den Motor lahmlegen, also war es vermutlich kein Risiko.
Ein paar Bürohengste in Business-Anzügen marschierten über den Platz, Aktenköfferchen in der Hand. Mosely ging auf, dass er jetzt wie einer von ihnen aussah.
In der Mitte des Platzes befand sich ein Springbrunnen, ein orgelndes Arrangement computergesteuerter Düsen, die etliche hundert Liter Wasser pro Sekunde durchsetzten. Was heutzutage alles von Computern kontrolliert wird, dachte Mosely, als er um den Brunnen herumging. Die waren zwar nicht wirklich intelligent, aber die meisten Dinge im Leben erforderten ja auch keine Intelligenz.
Elegante zwanzigstöckige Hochhäuser erhoben sich zu beiden Seiten eines vierstöckigen medizinischen Zentrums. Er steuerte geradewegs die grüne Glasfront an.
Das Logo über der Tür lautete:
fMRI Diagnostik
Das war der Name, den ihm die Stimme genannt hatte. Die Außenanlagen und die Architektur waren beeindruckend. Überall kleine, mit einem kurzgeschorenen Grasteppich bedeckte Hügel, auf denen Kirschbäume wuchsen. Alles vom Feinsten hier. Das ganze Viertel war mit schicken Firmenhochhäuserngespickt. Solange er in Houston lebte, hatte er nie einen Grund gehabt, sich hier aufzuhalten, und die Polizei in solchen Gegenden war Schwarzen gegenüber irre misstrauisch. Trotzdem hatte ihn auf
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