DAEMON
Ross nie bestohlen. Im Gegenteil, letztlich hat er mir seine Identität verkauft, und ich habe seinen Kreditwürdigkeitswert erheblich verbessert.»
«Wieso sprechen Sie so gut Englisch? Sie klingen, als wären Sie aus Ohio.»
«Mein Vater hat hier in Washington bei der russischen Botschaft gearbeitet.» Ross zeigte in Richtung Potomac. «Ich bin in Fairfax aufgewachsen.»
Merritt schüttelte wieder den Kopf. Er wusste nicht, was er glauben sollte.
Ross wurde ernst. «Nach dem Fall der Berliner Mauer wurden wir nach Russland zurückbeordert. Mein Vater wurde beim versuchten Staatsstreich 1992 von kommunistischen Hardlinern ermordet.»
Merritt suchte nach Anzeichen des Lügens – Zuckungen der Gesichtsmuskeln oder Augenlider. Ross legte nur düstere Gelassenheit an den Tag. Melancholie.
Dann hellte sich sein Gesicht plötzlich wieder auf. «Na ja, das ist lange her.» Er deutete mit einer ausholenden Armbewegung auf die Regierungsgebäude ringsherum. «Ich habe immer eine tiefe Bewunderung für die Gründerväter Ihrer Republik gehegt. Ihre Verfassung und Ihre Menschenrechtserklärung waren ein großes Geschenk an die Menschheit. Wenn auch Amerika in jüngster Zeit von dem Weg, den seine Begründer vorgaben, abgekommen scheint.»
Merritt sah ihn verärgert an. «Wirklich nobel von Ihnen, dass Sie nach dem Zusammenbruch des Kommunismus soweit gereist sind, um
uns
zu erklären, dass
wir
uns nicht auf dem rechten Weg befinden. Das bedeutet mir viel aus dem Mund eines erklärten Diebs. Und Ihre Theorie über den Daemon wäre auch ganz prima, wäre da nicht die enorme Beweislast gegen Sebeck und Lanthrop – und
Sie
.»
Ross wollte etwas sagen, aber Merritt war jetzt so wenig aufzuhalten wie eine Dampfwalze. «Sebeck hat
gestanden
, eine Affäre mit Lanthrop gehabt zu haben. Und sie war diejenige, die Millionen von Offshore-Banken abgehoben hat, bevor die Konten eingefroren wurden.»
Ross schüttelte den Kopf. «Sobol könnte auch ihre Identität gestohlen haben.»
Merritt war unbeirrbar. «Es gibt ein Video von einer Bankkamera, das sie beim Abheben von Geld zeigt. Sie war bei einer Firma für medizinische Geräte tätig, in einer Position, die den Betrug an Sobol begünstigte.»
«Sobol hatte die Kontrollmehrheit an dieser MR T-Firma . Er hätte dort jeden absichtlich unterbringen können.»
«Tja, sie wurde dummerweise in Belize tot aufgefunden, also werden wir es wohl nie erfahren. Und Sie – oder jemand, der für Sie arbeitet – haben ihr vermutlich die Kugel in den Kopf gejagt. Oder war das auch ein Computer?»
«Sie wurde vor vier Monaten umgebracht. Da hatte der Daemon schon Leute, die für ihn arbeiteten. Insbesondere die Verbrecherringe, die ihr Geld mit Online-Glücksspiel und -Pornographie machen, äußerst gefährliche Leute, glauben Sie mir.»
«Natürlich. Ich bin sicher, Sie schaffen es, auch noch Außerirdische und Kornkreise einzuarbeiten.»
«Agent –»
«Ich bin kein Idiot, Mr. Ross – oder wie immer Sie heißen. Sie hatten allemal das Motiv und die Fähigkeiten, Lanthrop, Pavlos, Singh und die Übrigen zu töten. Sie hatten sogar zehnMillionen Motive – die derzeit alle auf eingefrorenen Bankkonten liegen.»
«Wenn ich das alles getan hätte, warum hätte ich dann auch nur im weiteren Umfeld dieses Falls auftauchen sollen? Warum hätte ich Sebeck helfen sollen?»
«Weil Sie eitel sind. Oder so von Ihrer Intelligenz überzeugt, dass Sie alle anderen für blöd halten.»
«Das Video, das Sobol Sebeck geschickt hat –»
«Diese E-Mail ist analysiert worden, mit dem Befund, dass es
nicht
Sobol ist, und der Einzige, der je am Telefon mit Sobol gesprochen hat, war Sebeck. Die Botschaft von Boerner in Sebecks Posteingang? Auch nicht Sobol. Und dann ist da der Hummer auf dem Anwesen, der jeden zu töten versucht hat außer Ihnen und Pete Sebeck. Was habe ich noch vergessen, Mr. Ross?»
Ross sah Merritt in die Augen. «Pete Sebeck ist unschuldig. Und ich bin es auch.»
«Und wenn Sie beide die Morde und die Unterschlagung nicht begangen haben, dann soll ich wohl glauben, dass es Sobol war?»
Ross nickte.
«Warum sollte Sobol zehn Millionen Dollar wegwerfen, nur um Sebeck etwas anzuhängen?»
«Damit alle Welt glaubt, dass der Daemon nicht existiert.»
«Und was würde das bringen?»
«Wenn man nicht glaubt, dass etwas existiert, wird man auch nicht versuchen, es aufzuhalten.»
Merritt zögerte. Es war heimtückisch simpel – eine Ameise, die zwischen den
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