DAEMON
in Ecuador, Marmorbrüche in China, Ölbohrungen in Nigeria und den Bau von Pipelines in Myanmar. Wo immer es politische oder wirtschaftliche Machtrepräsentanten mit reichlich Ressourcen, zu vielen Rivalen und zu wenig Kapital gab, war Leland zu finden. Und obwohl diese Projekte theoretisch dem Wohl der dortigen Bevölkerung dienten, machten sich ihre Wohltaten doch vor allem ein paar tausend Meilen entfernt bemerkbar.
Lelands Anlage-Offerten bedienten sich trockener statistischer Analysen, um notdürftig zu verschleiern, worin das Geschäft hauptsächlich bestand: in der Versklavung von Menschen in fernen Ländern und in der Verwüstung von deren Umwelt. Natürlich machten die Leland-Leute das nicht direkt, aber sie stellten die Leute ein, die die Leute einstellten, die es machten.
Die Menschheit hatte immer schon Profit aus Unterdrückung geschlagen. Bevor sich das Corporate Marketing der Sache annahm, nannte man es «Eroberung». Jetzt war es
Regionalentwicklung
. Die Wikinger und die Mongolen hatten auch schon einen Blick für lukrative Objekte gehabt – aber Leland hatte sich die ganzen mühseligen Eroberungszüge erspart und sich ein Beispiel an den Römern genommen: Man heuerte einfach die Einheimischen an, sich als Franchisenehmer gegenseitig zu versklaven.
Lelands Fondsmanager als unmoralisch anzuprangern war eine grobe Simplifizierung der Gegebenheiten auf der Welt. Was gab es denn für eine Alternative zum Kapitalismus? Kommunismus? Theokratie? Die meisten Dritte-Welt-Länder hatten bereits beinahe tödliche Infektionswellen von Idealismus durchlitten. Schließlich waren es die Kommunisten gewesen, die die Welt mit billigen Kalaschnikows überschwemmt hatten, um die Massen zu «befreien». Der einzig bleibende Effekt war, dass jede Hauswand zwischen Kairo und den Philippinen mindestens ein Einschussloch aufwies. Aber geändert hatte sich nichts. Es hatte sich deshalb nichts geändert, weil diese alternativen Ideologien der menschlichen Natur widersprachen. Ja, schon dem gesunden Menschenverstand. Jeder, der einmal versucht hatte, mit seinen Mitbewohnern eine Pizza zu teilen, wusste, dass der Kommunismus
nie
funktionieren konnte. Wenn Lenin und Marx in einer Wohngemeinschaft gewohnt hätten, hätten vielleicht hundert Millionen Menschen, statt ihr Leben zu lassen, einer produktiven Verwendung in der Turnschuh- und Büromöbelherstellung zugeführt werden können.
Die Leland-Banker erklärten Klienten, dass sie die Welt nicht
erschufen
– sie versuchten nur, darin zu leben. Und außerdem seien die Segnungen der Zivilisation schließlich aus der Asche von Konflikt und Konkurrenz erstanden, also helfe das, was sie machten, den Leuten doch langfristig. Man brauche sich doch nur mal Japan anzusehen.
Und während die Debatte, gespickt mit rechtlichen Hinweisen und Haftungsausschlüssen, weiterplätscherte, verbuchte Leland wieder ein hochprofitables Jahr.
Aber es war nicht die Profitabilität, die Garrett Lindhurst Sorgen machte, als er zur Bürosuite des CEO eilte.
In der Führungsetage von Leland war Lindhurst der Einzige, der der Firma nicht durch eine jahrzehntelange Familientraditionverbunden war – aber so viele I T-Führungskräfte , wie sie die rapide Ausbreitung von Computersystemen in der Geschäftswelt erforderte, hatte der Geldadel nun mal so schnell nicht hervorzubringen vermocht. Wenn Lindhurst auch seit seinem Princeton-Studium – den Zeiten von Fortran und Pascal – kein einziges Programm mehr geschrieben hatte, hatte er doch im Lauf der Jahre gelernt, was Systeme kosten durften und was sie können mussten.
Letztlich hatten Computersysteme eine von zwei Aufgaben zu erfüllen: Geld zu machen oder Geld zu sparen. Der Rest war Kleinkram. Drecksarbeit. Die delegierte Lindhurst an die Senior Vice Presidents, die sie wiederum an jemand anderen delegierten … und so fort. Nur in absoluten Katastrophenfällen befasste sich Lindhurst noch mit den Systemen selbst.
Das jetzt war so ein Fall.
Lindhurst zeigte auf die tempeltorartige Tür des CE O-Bü ros , während er am Tisch der Chefsekretärin vorbeimarschierte. «Ist er da?»
«Er reist in einer Stunde nach Moskau.»
Sie würdigte Lindhurst kaum eines Blicks. Aus Granit gehauen, in den Fünfzigern und seit vielen Jahren im Dienst des CEO, besaß sie faktisch mehr Autorität als zwei Senior Vice Presidents zusammen.
Aber Lindhurst besaß mehr Autorität als zehn VPs. Er stieß die mächtigen Türflügel auf.
«Garrett!», rief sie
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