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DAEMON

DAEMON

Titel: DAEMON Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Suarez
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breitete sich über Graggs Gesicht. Das passte zu Boerner: die unsichtbare Interpunktion, die nur der menschliche Geist leisten konnte:
    «…   gebrauchen Sie ‹Ihren Schlüssel›, dann treffen wir uns wieder   …»
    Gragg holte tief Luft und gab «Ihren Schlüssel» als Argument in seine Entschlüsselungsfunktion ein. Dann drückte er die Eingabetaste.
    Zwölf Zeichenketten, alle Nonsens – bis auf eine. Die siebte lautete:
RS A-Entschlüsselungsergebnis : 29.3935   –   95.3933
    Er sprang auf, stieß ein Freudengeheul aus und tanzte in seiner Wohnung herum wie der Verrückte, der er dank des Schlafentzugs war. Doch dann kam ein ganzer Cocktail von Emotionen über ihn: Erleichterung, Misstrauen – ja, sogar Angst. Sollte er wirklich glauben, dass es Sobol war, der da mit ihm sprach? Ihn aus dem Jenseits dirigierte? Was setzte er, Gragg, da in Gang?
    Gragg griff sich eine Fernbedienung und schaltete den 4 2-Zoll -Plasmafernseher am anderen Ende des Raums an. Wie er schon vermutet hatte, brachten die Nachrichtensender Live-Feeds von Sobols Anwesen. Ihre Nachtsichtkameras schwenkten beständig über die Belagerungstruppen – wie bei einem Kriegsbericht aus einem fernen Land. Hunderte Polizei-und FB I-Beamte hatten das Anwesen umstellt. Überall war schweres Gerät zu sehen. In einem Fenster lief immer wieder ein Videoloop von einem Militärschützen, der mit einem riesigen Scharfschützengewehr auf einen Van zuging. Die Regierung nahm Sobols Spielchen todernst. Und plötzlich wurde auch Gragg ernst.
    Er sah wieder auf seinen Computerbildschirm:
    29.3935   –   95.5933
    Das waren Zahlen, die Gragg etwas sagten. Ja, es waren Zahlen, die jedem texanischen Geocacher etwas sagten. Es waren die GP S-Koordinaten eines Orts irgendwo in Süd-Texas. Er hatte die Monte-Cassino-Map auf einem Houstoner Server gespielt, also machte das Sinn. Gragg griff nach seinem GP S-Receiver und checkte den Akkuladestand.
    … treffen wir uns wieder   …
    Sah ganz so aus. Gragg öffnete die Schublade seines mächtigen Sechziger-Jahre-Schreibtischs und entnahm ihr eine Neun-Millimeter-Glock in einem Nylon-Gürtelholster. Er betrachtete sie ernst, weil ihm plötzlich aufging, wie schnell die ganze Sache eine Eigendynamik entwickelte. Es konnte eine Falle sein. Es konnte etwas sein, was er sich gar nicht vorzustellen vermochte. Er klipste das Holster hinten an seinen Gürtel.
    In jedem Fall würde er kein langes, langweiliges Leben in der Einöde von Suburbia fristen – das war doch schon mal etwas.
     
    Der einzige Wagen, den Gragg momentan hatte, war sein allererster – ein schrottreifer Ford Tempo, Baujahr 1989, dessen blauer Lack längst zu Schnurbatikmustern im Stil der Grateful-Dead-Zeit verblasst war. Die Heckscheibe war undicht, weshalb im Wageninneren ein Schimmelgeruch herrschte, gegen den sein Sofa wie Heidekraut duftete.
    Den Tempo hatte er behalten, weil ein Mann seines Alters ohne Auto verdächtig war. Gragg bewegte sich zwar die meiste Zeit unter gestohlenen Identitäten – so war das Carder-Leben nun mal   –, hatte aber immer noch einen richtigen Namen und eine Sozialversicherungsnummer, die es zu verkörpern galt. Auf dem Papier war Gragg ein Loser, der stundenweise in einem Computerzubehörladen in Montrose arbeitete. Offiziell verdiente er wenig, bezog aber auch keine Sozialhilfe. Er war einfach nur ein Nerd – ein ehrgeizloser junger Typ, der seine Zeit hauptsächlich in der
alt.binaries.nonspam.
facials
-Newsgroup verbrachte. Das konnte sein Provider bezeugen. Der offizielle Brian Gragg war ein völlig uninteressanter Mensch.
    Seine besseren Wagen meldete Gragg immer unter ausgeborgten Identitäten an, und anders als bei seinen Massen-Identitätsdiebstählen war er bei den Identitäten, in die er selbst schlüpfte, sehr wählerisch. Niemand, der zu erfolgreich oder zu arm war. Seine Opfer fand er dort, wo unter Cardern Sozialversicherungsnummern, Namen und Adressen von Mittelschichtlern gehandelt wurden. Leuten, die auf dem offenen Markt nur als Maske etwas wert waren. Wenn er sich erst mal einen Namen ausgesucht hatte, war es leicht, über Online-Personensuchdienste mindestens ein halbes Dutzend Angaben darüber zu erhalten, wo der Betreffende mal gearbeitet und gewohnt hatte, an Kreditauskünfte, Einkommensteuerinformationen, Namen von Nachbarn und Verwandten zu kommen. Das alles war ohne weiteres zugänglich. Gragg nahm aus Prinzip nur Beschäftigte von Fortune-100 0-Unternehmen oder Staatsbeamte –

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