DAEMON
Boerner starrte niemanden an. Das war nur ein Bündel von Textur-Maps, arrangiert für einen Ego-Shooter. Sobol setzte ihm Wahnideen in den Kopf. Was hier lief, war gar nicht gut.
Boerner schwenkte den Zeigefinger. «Sie brauchen sich nicht zu fürchten, mein Freund. Es sei denn, es fehlt Ihnen an Fähigkeiten.»
Gragg zeigte Boerner den Mittelfinger und nahm seinHandy heraus. Er überlegte kurz, wen er anrufen könnte. Doch wohl nicht die Polizei? Nein, die Polizei auf keinen Fall. Vielleicht einen seiner Road-Racing-Kumpels? Oder einen von seinen Rave-Türstehern? Ganz schlechte Idee. Jetzt, wo «Loki» als tot galt. Aber sie kannten ihn ja gar nicht als «Loki». Sein Leben war so voller Lügen, dass er selbst nicht mehr durchblickte.
Gragg ging seine gespeicherten Telefonnummern durch und wählte dann die seines Cheftürstehers. Er hielt sich das Handy ans Ohr. Nichts als Rauschen. Er sah auf die Signalstärke-Anzeige. Kein Netz.
Boerner sprach wieder. Gragg blickte auf den Laptop.
«Ihr Handy nützt Ihnen nichts. Hier funktioniert nur WiFi.» Sein Gesichtsausdruck war jetzt wesentlich weniger freundlich. «Jetzt fahren Sie schon vorwärts.»
Gragg legte das Handy weg. Er schaltete wieder auf Fahrstellung. Holte tief Luft und nahm den Fuß von der Bremse. Der Tempo rollte vorwärts. Gragg kam der Gedanke, dass ja vielleicht jemand von der Asphaltstraße aus seine Scheinwerfer sehen könnte. Also machte er sie an und blendete auf.
An dem Schlacksteingebäude ging eine Außenlampe an.
Boerner knurrte: «Fahren Sie unter die Lampe.»
Als Gragg weiterrollte, hörten die Bäume plötzlich auf, und er war auf einer gut beleuchteten, matschigen Lichtung vor dem Schlacksteingebäude. Da stand noch ein Wagen – ein böse zerquetschter V W-Bus mit Louisiana-Kennzeichen.
Gragg fühlte, wie seine Reifen im Matsch versanken. In Sekundenschnelle steckte er bis an die Achsen fest und war gefangen wie eine Fliege auf einem Fliegenfänger.
«Scheiße …», stöhnte Gragg. «Scheiße, Scheiße, Scheiße!» Er schlug mit der Faust aufs Lenkrad. Worauf hatte er sich eingelassen? Er hätte abhauen sollen.
Boerner sagte wieder: «Mein Freund.»
Gragg sah auf den Laptop.
Boerner zog an seiner Zigarette. «Das ist spaßig, was?» Er hielt kurz inne, fragte dann: «Sind Sie dieser Mann hier, mein Freund?»
Im Konsolenfenster erschienen Brian Graggs voller Name, seine Sozialversicherungsnummer, sein Geburtsdatum, seine letzte bekannte Wohnadresse, der Mädchennamen seiner Mutter – ein Großteil seines Lebens. Ein Adrenalinstoß ergoss sich in seinen Blutkreislauf. Fast hätte er vor Schreck aufgeschrien. Er konnte sich nicht erinnern, jemals solche Angst gehabt zu haben. Diese Maschine wusste, wer er war. Sie kannte seinen richtigen
Scheißnamen
.
Boerner blaffte ärgerlich: «Sind Sie dieser Mann hier? Antworten Sie!»
Zitternd tippe Gragg «nein» unter seine persönlichen Daten im Konsolenfenster und drückte die Eingabetaste.
Boerner durchbohrte ihn wieder. «Wenn Sie nicht dieser Mann sind, habe ich noch andere Namen. Aber wenn Sie mich belügen, werde ich es merken. Und dann gibt es keine Gnade. Antworten Sie nochmal. Sind Sie dieser Mann hier?»
Gragg ließ Boerners kalte Augen auf sich wirken, tippte dann «ja» und drückte die Eingabetaste.
Boerners Miene wurde milder, und er zog wieder an der Zigarette. «Gut. Dann kann es jetzt losgehen.» Eine Hand hinterm Rücken, begann er auf und ab zu gehen. «Starten Sie Ihren WLA N-Scanner wieder. Sie werden ein Netzwerk finden. Dazu müssen Sie Zugang erlangen. Versuchen Sie nicht, sich von hier zu entfernen, ehe Sie drin sind. Auf Wiedersehen.» Boerner verschwand aus dem Raum, und das 3 D-Eisengitter fiel hinter ihm zu. Unmittelbar danach wurde das Spiel ohne Vorwarnung geschlossen, und Gragg starrte auf seinen Desktop.
Gragg rieb sich die Stirn. Was für ein Albtraum. Erwünschte sich, dass es einer wäre; weil es aber keiner war, musste er sich wohl an die Arbeit machen. Boerner wollte sehen, was Gragg auf dem Kasten hatte? Na gut. Gragg startete wieder NetStumbler. Die SSID des
Houston Monte Cassino Server
war verschwunden. Stattdessen war da ein neuer Zugangspunkt ganz ohne SSID.
Das würde zweifellos schwieriger werden. Gragg öffnete die NetStumbler-Logs und checkte sämtliche Einträge. Der neue Zugangspunkt hatte WiFi Protected Access – WPA –, eine Verschlüsselungsmethode für drahtlose Netzwerke.
Verdammt.
Er hatte auf WE
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