Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)
fing ihn ab, bevor er entkommen konnte. »Was machst du da, Jakob?«
»Böse Schnee!« Jakob zeigte auf sie.
Schnee runzelte die Stirn und betrachtete Jakob genauer. Sie schob eine Hand in den Sack und fischte vorsichtig eine schmale, dreieckige Glasscherbe von der Länge ihres Fingers heraus.
»Achtet nicht auf ihn«, meinte Nicolette. »Ihr wisst ja, wie der Prinz manchmal ohne jeden Grund erschrickt.«
»Er hat einen Grund.« Schnee näherte sich ihm langsam, und Jakobs Augen weiteten sich. Er wand sich und strampelte, dass Nicolette vor Schmerz stöhnte. »Was siehst du, Jakob?«
Jakob biss Nicolette in die Hand. Sie schrie auf, er fiel auf den Boden und floh mit tolpatschigen Bewegungen, die ihn wie eine beschädigte Marionette aussehen ließen.
»Er hat wirklich Angst!« Nicolette war begriffsstutzig, eine nützliche Eigenschaft bei jemand, dessen Leben aus solch stumpfsinniger Plackerei bestand, aber sie beobachtete Schnee jetzt genauer. Sie trat nach links und stellte sich zwischen Schnee und den Prinzen. »Ich sollte ihn zurück auf sein Zimmer bringen, damit er sich beruhigen kann.«
Fast geistesabwesend schlug Schnee zu und schnitt Nicolette mit dem kaputten Spiegel in die Wange. Nicolette schnappte nach Luft und fasste sich ans Gesicht.
Schnee konnte wahrnehmen, wie der winzige Splitter sich seinen Weg tiefer in Nicolettes Fleisch bahnte. Mit einem geistigen Schubs half Schnee seiner Magie, Nicolettes Verstand und Sehvermögen zu klären. Einen Moment lang sah sie, wie Nicolette sah. Sah die blutigen Linien, die in Schnees Gesicht eingeschnitten waren, sah die Art, wie Schnee durch ihr triefendes linkes Auge blinzelte. Das Alter hatte begonnen, ihre Haut runzlig werden zu lassen; der nachtschwarze Glanz ihrer Haare fing an zu verblassen und machte Strähnen von der Farbe eines schmutzigen Wischmopps Platz. Nicht einmal ihre Mutter hatte jemals so hässlich ausgesehen.
Sie schob Nicolette beiseite und tat dasselbe mit den Bildern in ihrem Kopf. Jakob war in die Küche gelaufen; sie eilte ihm nach und riss die Tür auf. Ein Schwall heißer, feuchter Luft schlug ihr entgegen. Holzrauch aus dem Backsteinofen, der auf der anderen Seite des Raums brannte, verdunkelte die Luft. In dem größeren Kamin zu ihrer Rechten glommen Kohlen. Ein halb geschlachtetes Lamm lag auf dem Holztisch in der Mitte der Küche.
Das Küchenpersonal stand wie Statuen mit offenen Mündern da. Jakob war hier und versteckte sich hinter einem der Köche, aber sie konnten nicht sagen, ob er bloß eins seiner Spiele spielte oder ob es eine echte Bedrohung gab. Schnee leckte sich die Lippen und zuckte zusammen, als ihre Zunge eine der Schnittverletzungen berührte, die ihr Spiegel hinterlassen hatte. Neun Personen, der Prinz nicht mitgezählt. Die meisten mit Messern oder Töpfen, die als Waffen benutzt werden konnten.
Schnee steckte eine Hand in den Sack und zog eine größere Glasscherbe heraus. Die Ränder schnitten ihr in die Finger, aber sie achtete nicht auf den Schmerz. Sie knallte das Glas auf den Steinfußboden, wo es in einer silbernen Wolke explodierte.
Schnee schürzte die Lippen und blies. Winzige Fragmente flogen hoch und sprenkelten Haut mit roten Tüpfelchen. In der Zeit, die es brauchte, einmal Luft zu holen, breitete sich ihre Macht in jedem im Raum aus. In jedem außer Jakob.
Schnee ging um den Tisch herum am Ofen vorbei. Jakob hatte sich in die Ecke zwischen dem Ofen und der Wand gezwängt. Er versuchte, sie wegzustoßen.
Sie zog noch eine Scherbe aus dem Sack und legte sie direkt auf Jakobs Stirn. Ein roter Tropfen quoll aus seiner Haut, wo das Glas sie berührt hatte, aber im Gegensatz zu den anderen schien er von ihrer Magie unberührt. Er zitterte und presste sich fester an die Wand.
»Interessant.« Schnee gab sich keinen Illusionen über ihre eigene Macht hin. Jeder Magie konnte entgegengewirkt werden … ebenso wie jeder Gegenzauber überwunden werden konnte. Jakob war ein schniefender Balg ohne magische Ausbildung, was bedeutete, dass seine Fähigkeit, ihrem Spiegel zu widerstehen, etwas Angeborenes war. Etwas direkt in seinem Blut. »Was siehst du, wenn du mich anschaust, Jakob?«
Er schüttelte den Kopf.
»Du hast es in deinem Vater auch gesehen, nicht wahr?« Sie dachte an jene Unterhaltung zurück, die sie durch Armands Sinne verfolgt hatte. »Nicht so stark ausgeprägt, aber gesehen hast du es.«
Ein Dienstjunge von ungefähr zehn Jahren guckte durch die Tür herein. »Die Prinzessin
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