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Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)

Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)

Titel: Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim C. Hines
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»Was hast du hier unten getrieben?«
    Talia ging vom Tisch weg und untersuchte den Raum, bis sie einen dunklen Klecks auf einem der Bücher in den Regalen fand. Schnee hatte versucht, das Leder sauber zu wischen, aber kaum wahrnehmbare Flecke verrieten Talia, dass sie dieses spezielle Buch über zwergische Architektur angefasst hatte. Das Buch war der Mechanismus, der bewirkte, dass sich der Geheimgang durch die Klippen zum Meer öffnete. Der Gang war als Fluchtweg in allergrößter Not gedacht; wieso sollte Schnee – oder was immer die Macht über sie ergriffen hatte – sich die Mühe machen, ihn zu öffnen, wenn nicht, um zu fliehen?
    Talia stellte die Lampe auf den Tisch. Ein kurzes Ziehen an dem Buch setzte den Mechanismus in der Wand in Gang. Sie ging durch den Raum zu dem Regal an der gegenüberliegenden Wand, hinter dem der Eingang versteckt war; mit schlagbereitem Streitkolben zog sie daran und legte die Öffnung frei.
    Kalte, feuchte Luft strömte in die Bibliothek. Nur wenig Licht drang durch den Gang, aber es reichte Talia, um die Frau zu erkennen, die auf der Steintreppe kauerte.
    Talia hob den Streitkolben. »Schnee?«
    Die Frau hatte die richtige Größe und die gleiche blasse Haut. Talia schnappte sich die Lampe vom Tisch. Das Licht zeigte eine Frau, die jünger als Schnee war, mit dunkelroten Haaren und einem bleichen, verängstigten Gesicht. Sie war nackt und zitterte heftig vor Kälte; die Lippen und Ohren waren schon ganz blau.
    »Ist sie … ist sie weg?«, fragte sie nuschelnd.
    Talia warf den Streitkolben hinter sich und streckte der Frau die Hand hin. Ihre Finger waren kalt wie Eis. »Wer seid Ihr? Wie lange seid Ihr schon hier unten?«
    »Keine Ahnung.« Die Frau versuchte aufzustehen, aber die Beine gaben unter ihr nach. »Vielleicht einen Tag lang?«
    Talia zog die Frau in die Bibliothek und verschloss mit einem Tritt das Regal. Sie holte einen alten Wollumhang aus einer anderen Truhe und legte ihn der Frau um die Schultern, wusste aber nicht genau, was sie ihr sonst noch an Hilfe anbieten sollte. Schnee war die Heilerin, nicht Talia. Da sie in Arathea aufgewachsen war, kannte sie zwar die Symptome eines Sonnenstichs seit ihrem fünften Lebensjahr, aber über die Behandlung von halb erfrorenen Frauen wusste sie viel weniger. »Wie heißt Ihr?«
    »Gerta.« Sie rollte sich zu einem Ball zusammen und zwängte die Hände unter die Arme.
    Talia stellte die Lampe auf den Boden vor Gerta, die begierig die Hände darum wölbte. Gerta war kein Name, der in Lorindar verbreitet war; es war möglich, wenngleich nicht wahrscheinlich, dass Gerta die versteckte Öffnung im Wasser am Fuße der Klippen entdeckt hatte. Vielleicht war sie eine Ausreißerin oder eine flüchtige Gefangene, jemand, der verzweifelt genug war, Felsen und Wellen zu trotzen? »Euer voller Name?«
    Gerta zitterte so unkontrolliert, dass sie dreimal ansetzen musste, um die Antwort zuwege zu bringen. »Rose Gertrude Curtana. Aber ich ziehe Gerta vor.«
    Talia riss den Dolch aus der Scheide. »Rose Curtana ist tot!«
    »Ich weiß. Schnee hat sie umgebracht.« Gertas aufgesprungene Lippen brachten ein schwaches Lächeln zustande. »Ich bin Schnees Schwester.«
    »Das ist unmöglich! Schnee hatte keine Schwester!«
    »Halbschwester.« Wieder wurde Gerta von heftigem Zittern geschüttelt.
    Da waren schon Ähnlichkeiten. Gertas Haare waren kürzer, aber sie umrahmten ein Gesicht mit den gleichen schmalen Zügen und hohen Wangenknochen wie bei Schnee. Gertas große braune Augen waren ein fast vollkommenes Ebenbild derjenigen Schnees. Sie war attraktiv, wenn auch nicht so schön wie Schnee. »Das hätte sie mir gesagt!«
    »Es gibt viel, woran sich Schnee lieber nicht erinnern wollte«, sagte Gerta.
    »Eine vergessene Schwester? Eine, die zufällig in genau dieser Nacht in Lorindar eintrifft?« Talia hielt den Dolch stoßbereit, als sie rückwärts zu der Truhe zurückging und noch eine Decke holte. Sie warf sie Gerta zu, die sie mit zitternden Händen um sich wickelte.
    »Unsere Mutter – möge sie für immer brennen – schickte mich fort, als ich noch ein Baby war«, erklärte Gerta. »Wenigstens ist das die Geschichte, die Schnee sich gerne selbst erzählt hat, als sie älter war. Als sie jung war, glaubte sie, dass ich ihre richtige Mutter sei, die gekommen war, um sie vor Königin Rose zu retten.«
    Falls das ein Trick war, so konnte sich Talia nicht einmal im Entferntesten vorstellen, was damit bezweckt werden sollte. »Kommt zu

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