Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)
denselben Satz.
»›Sie hat ihn ganz zerstört‹«, übersetzte Gerta. »Ich glaube, sie spricht von Schnee. Noita hatte vor, sich hier zu verstecken, aber Schnee findet sie. Wegen uns.« Mit einem kleinen Messer schnitt Gerta noch eine Blume ab. Sie drückte die Nase auf die Blütenblätter und atmete ein. Stirnrunzelnd versuchte sie es noch einmal. »Ich glaube, ich habe eine schlechte Blume.«
»Was siehst du?«, wollte Talia wissen.
»Nichts.« Gerta ließ die Blume fallen und schnitt sich eine weitere ab. »Vielleicht blockiert Schnees Magie die Vision. Da ist nichts als Schwärze.«
Talia knurrte Noita etwas zu, deren Miene daraufhin milder wurde.
»Du armes Mädchen!« Auch wenn Danielle die meisten Wörter nicht verstand, hörte sie die Traurigkeit in Noitas Stimme, während Talia das Weitere übersetzte. »Schnee mag sich selbst verstecken können, aber es gibt nur einen Grund, weshalb die Blumen gar nichts zeigen würden. Die Blumen zeigen deine Zukunft. Wenn du diesen Weg weiter beschreitest, dann hast du keine.«
Gerta erbleichte. Sie starrte auf die Lilie, dann atmete sie noch einmal ein, tiefer diesmal.
»Der Tod macht alles um ihn herum unklar«, fuhr Noita fort. »Nicht einmal deine Mutter war stark genug, ihr eigenes Ende vorherzusehen.«
Gerta schleuderte die Blume fort. »Talia …«
»Diese Blumen haben Noita auch erzählt, dass sie imstande sein würde, uns zu fangen, weißt du noch? Zauberei ist bestenfalls unzuverlässig, und wie die allervertrauenswürdigste Hexe kommt sie mir nicht gerade vor.«
»Lasst mich es versuchen!«, sagte Danielle.
»Bist du sicher?« Noita schnalzte mit der Zunge. »Wie deine Freundin willst vielleicht auch du die Wahrheit gar nicht sehen.«
Mit dem Schwert schnitt Danielle eine weitere Lilie ab. Wortlos hielt sie sie sich vors Gesicht, bis die Blütenblätter ihre Nase streiften.
»Konzentriere dich auf die Person, die du sehen willst«, sagte Talia, wobei sie Noitas Worte weitergab. »Deine Konzentration und dein Wille steuern die Vision.«
Danielle schnupperte an der Blume. Der Garten löste sich auf und enthüllte Mauern aus Eis. Nebel überzog den Boden, auf dem Jakob saß und mit flachen Eisscherben spielte, die so klar waren, dass sie wie Glas aussahen. Seine Haut war blass, Lippen und Fingernägel blau vor Kälte, aber er zitterte nicht.
»Was siehst du?« Talias Stimme, obwohl Danielle sie kaum zu hören vermochte. Ihre Freundin klang, als riefe sie aus großer Ferne.
»Jakob. Er lebt.« Tränen rannen über ihre Wangen. Der Nebel riss kurz auf, sodass sie einen Blick auf den Boden erhaschte: Er bestand aus zerbrochenen Fliesen aus Eis, die so glatt waren, dass sie das Spiegelbild ihres Sohnes darin sehen konnte.
Jakobs Finger waren zerschnitten und bluteten, aber er hörte nicht auf, die Eisstücke immer wieder neu anzuordnen, wobei sein rundes Gesicht sich vor Konzentration in Falten legte. Sein Atem ging viel zu langsam.
»Jakob, ich bin’s!« In der Vergangenheit hatte Jakob manchmal spüren können, wenn Danielle durch einen von Schnees Spiegeln zu ihm hereinschaute, doch heute nicht.
»Wo sind sie?« Talias Stimme, hart und gefühllos.
Danielles Vision bewegte sich. Sie sah Schnee, die auf einem Thron aus Eis saß und Jakob beobachtete. Schnee war schon immer blass gewesen, aber jetzt war alles Rot aus ihren Lippen und Wangen gewichen. Sogar ihre Augen hatten viel von ihrem Glanz verloren. Ihr Haar war nach hinten gestrichen; sie trug eine Krone aus Kristall oder Eis. Belebte Schnee- und Glasflocken flogen herum und umgaben ihre Gebieterin mit einer Gloriole.
»Es ist ein Schloss aus Eis«, flüsterte Danielle. Grünes Licht schimmerte und tanzte vor Fenstern aus durchsichtigem Eis.
Schnee erhob sich von ihrem Thron. Ihre Lippen bewegten sich, aber Danielle konnte nicht erkennen, was sie sagte. Schnees Krone leuchtete auf wie die Sonne und füllte Danielles Gesichtsfeld, bis sie sich wegdrehte.
Ein Schrei zerschmetterte die verblassende Vision. Danielle wirbelte herum, schleuderte die Blume fort und packte ihr Schwert.
»Was ist los?«, fragte Talia.
Danielle wischte sich die Augen ab und versuchte, mit der Kraft ihres Willens die Umgebung zu zwingen, scharf zu werden. Die Blume auf dem Boden war verwelkt, die Blütenblätter verschrumpelt und braun. »Ich hörte … ich habe Jakob gesehen. Er lebt.«
»Was hast du sonst noch gesehen?«, fragte Noita.
»Da war ein Schrei. Ich weiß nicht wessen.« Sie konnte das Geräusch
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