Daemonen in London
der
Kistenstapel. Dabei stolperte sie über ein Brett am Boden und es
erzeugte ein zwar leises, aber hier in dieser Stille deutlich
vernehmbares scharrendes Geräusch.
Erschrocken
hielt Keeva inne und lauschte. Für einen kurzen Augenblick
glaubte sie, hinter sich ein dunkles Grollen, ähnlich einem
Knurren, zu vernehmen und ihr Kopf schnellte herum. Sie starrte auf
die Stelle, von der das Geräusch gekommen zu sein schien, konnte
aber nichts erkennen. Jedenfalls nichts, das sich bewegte, nur
weitere Kisten und an der Wand lehnende, lange Bretter.
Angespannt
sah sie wieder nach vorne. Unweit vor ihr befanden sich einige wild
aufeinander gehäufte alte Möbel. Sie sahen so aus, als
wären sie einfach aus den oberen Stockwerken durch die dortigen
Fenster hinunter in den Hof geworfen worden. Sie bildeten einen
großen Haufen, doch unten hatten sich ein paar alte
Bettgestelle derart verkeilt, dass sie eine Art Dach bildeten, auf
dem sich die restlichen Möbelstücke stapelten. Darunter
befand sich eine größere Höhle – ein
verlockendes Versteck, wie Keeva fand. Wenn sie ein Höllenhund
wäre, dann würde sie sich genau dort verkriechen.
Langsam
schlich sie auf die Öffnung zu und achtete diesmal darauf, nicht
über weitere Bretter oder andere Gegenstände zu stolpern.
Sie näherte sich nicht frontal, sondern von der Seite –
für den Fall, dass der Dämon doch mal blinzeln sollte.
Neben
dem Eingang zu dem möglichen Versteck blieb sie stehen und ging
in die Hocke. Sie hielt die Luft an, während sie den Kopf
Zentimeter für Zentimeter um die Ecke schob – und in eine
leere Höhlung blickte.
Verdammt,
dachte sie. Sie hatte sich getäuscht. Sie wollte sich gerade
umdrehen und nach einer anderen Versteckmöglichkeit suchen, als
ihre durch den Trank übernatürlich verstärkte
Sehfähigkeit auf dem Boden im Eingangsbereich dieser künstlichen
Höhle etwas aufblitzen sah. Behutsam schlich sie näher. Es
waren einige Tropfen einer Flüssigkeit, die dort auf dem
Steinboden feucht glitzerten. Keeva berührte einen dieser
Tropfen mit dem Finger. Er war lauwarm.
Ihr
Magen krampfte sich zusammen, als sie sich der Bedeutung dieser
Entdeckung bewusst wurde. Voller Entsetzen legte sie ihre Hand auf
den Bereich hinter den Tropfen. Der Steinboden dort war nicht eiskalt
- wie er hätte sein müssen, jetzt, in einer Nacht im Januar
- sondern ebenfalls noch warm, sogar deutlich wärmer noch als
der Tropfen, den sie gerade berührt hatte.
Irgendetwas
läuft hier katastrophal schief, konnte sie gerade noch denken,
als sie direkt hinter sich erneut dieses knurrende Geräusch
vernahm, das sie vorhin schon einmal zu hören geglaubt hatte.
Für
eine Sekunde schloss sie die Augen, dann straffte sie sich, schnellte
herum – und sah genau in die hässliche Fratze des
Höllenhundes, der nur wenige Meter vor ihr mitten in dem Hof
stand und sie voller Gier betrachtete.
*
Trotz
ihrer Bestürzung war Keeva fasziniert von dem Anblick des
Scheusals. Sie befand sich das erste Mal in ihrem Leben von Angesicht
zu Angesicht vor einem leibhaftigen Dämon, der sie
höchstwahrscheinlich in den nächsten Sekunden angreifen
würde - und konnte doch nicht anders, als die Effizienz und
Kraft dieses tödlichen Wesens zu bewundern.
Obwohl
er auf allen Vieren vor ihr stand, überragte er sie noch um fast
einen halben Meter. Sein Hinterleib wirkte geradezu schmächtig
im Vergleich zum mächtigen Vorderbau des Viehs, doch die
kraftvolle Muskulatur der leicht angewinkelten hinteren Beine
verriet, dass das Monster in der Lage war, gigantische Sprünge
zu absolvieren.
Auf
dem Rücken entlang der Wirbelsäule befanden sich kleine
Fortsätze, die Keeva zuerst für Stacheln hielt, bis sie
erkannte, dass es sich um winzige Tentakel handelte. Mit einer
morbiden Faszination betrachtete sie die deutlich größeren
und zahlreicheren Tentakel, die aus dem Nacken des Höllenhundes
sprossen und sich in einer abnormen, aber trotz alledem irgendwie
großartigen Mähne über seinen Rücken
ausbreiteten.
Als
hätte der Dämon ihre widerwillige Bewunderung gespürt,
schüttelte er die Tentakel und wirkte dadurch wie ein höllischer
Löwe. Er schien sie ebenfalls mit einem gewissen Interesse zu
betrachten und senkte seinen mächtigen Kopf.
Keevas
Blick fiel auf sein Maul, aus dem vorne deutlich sichtbar vier
riesige Fangzähne ragten. Sie fühlte sich an die
Zeichnungen von Säbelzahntigern erinnert, die sie in ihrer
Kindheit gerne betrachtet hatte – nur dass dieses
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