Dämonenherz
erführe. Guyot trat von einem Fuß auf den anderen. Jetzt hatte sie ihn. Der Fisch biss an.
»Und danach können Sie den Putzjob endgültig an den Nagel hängen. Jede Redaktion wird Sie mit Kusshand nehmen. Na?«
Sie bewegte die Finger ihrer ausgesteckten Hand. Der Putzmann sah sich noch einmal schnell um. Niemand beobachtete sie. Er öffnete den Reißverschluss seiner Brusttasche, holte die Speicherkarte hervor und gab sie Anna.
»Ich habe Kopien.«
»Sie würden mich enttäuschen, wenn Sie keine hätten.«
»Wenn Sie mich verladen, sind Sie dran.«
»Morgen Mittag vierzehn Uhr. Herr Weller erwartet Sie.«
Oder auch nicht. Aber um diese Eventualität wollte Anna sich erst kümmern, wenn sie an der Reihe war. Sie drehte sich um und verließ das Verlagsgebäude so schnell, wie sie konnte. Erst zwei Straßen weiter gestattete sie sich einen Luftsprung.
Ich habe den Job! Ich bin Carl Wellers PR-Agentin!
Es dauerte zwei weitere Straßen, bis ihr klar war, dass sie keine Ahnung hatte, was das eigentlich bedeutete.
3 .
M it einem energischen Ruck drehte Anna die Dusche ab. Tropfnass hüllte sie sich in ein Badehandtuch und lief in ihr Schlafzimmer, um genauso ratlos wie vor einer Viertelstunde ihren weit geöffneten Kleiderschrank zum wiederholten Mal zu inspizieren. Carl Weller besaß offenbar kein Faible für Hosenanzüge von der Stange. Das hatte Anna im Grunde ihres Herzens auch nicht, aber selbst eine wohlwollende Prüfung brachte nichts zutage, womit sie heute Abend bei einem Milliardär punkten könnte.
Ratlos betrachtete sie ein Stück nach dem anderen. Sie war immer stolz darauf gewesen, einen guten Geschmack zu haben. Innerhalb des Budgets, das sie für Kleidung erübrigen konnte, hatte sie sich für zeitlose und qualitativ hochwertige Teile entschieden, die gut miteinander kombinierbar waren. Ob Meeting oder Büro, Geschäftsessen oder Kundenbesuche – stets hatte sie darauf geachtet, dezent und gleichzeitig seriös angezogen zu sein. Bisher war sie der Meinung gewesen, für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Sogar ein Abendkleid hatte sie sich vor langer Zeit geleistet.
Es hing, von einer dünnen Plastikfolie geschützt, ganz hinten im Schrank. Vorsichtig holte sie es heraus, entfernte die Folie und legte es auf ihr Bett. Es war aus fließender rosenholzfarbener Seide, die im Licht ihrer Nachttischlampe unschuldig und geheimnisvollzugleich schimmerte. Sie hatte es nur ein einziges Mal getragen, es danach in den Schrank gehängt und versucht, es zu vergessen.
Falsch, korrigierte sie sich. Du hast versucht zu vergessen, warum du es getragen hast und für wen. Und woher die kleinen dunklen Wasserflecken kommen, die man immer noch sehen kann, weil du es noch nicht einmal in die Reinigung gebracht hast.
Sie nahm das Kleid, stand auf und trat vor den Ankleidespiegel. Mit der linken Hand hielt sie den Bügel, mit der rechten drapierte sie den Stoff so, dass es wirkte, als würde sie es tragen. Aus dem Spiegel sah ihr eine barfüßige Frau mit nassen Haaren entgegen. Der Anblick war ein Déjà vu, genau so hatte sie schon einmal ausgesehen. Ihre Gedanken glitten zurück zu jenem Abend, an dem Michael, ihr Exmann, ihr gesagt hatte, dass er erstens ein unglaublich attraktives Angebot von einem der führenden Wirtschaftsprüfungsunternehmen erhalten hatte, dass er zweitens dafür gezwungen sei, in einem halben Jahr nach Boston zu gehen, und dass er dies drittens nicht mit ihr, sondern mit einer jungen Dame mit dem Spezialgebiet Rechnungslegungsstandards tun würde, die zudem ein Kind von ihm erwartete und die er, sobald die Scheidung durch wäre, zu ehelichen gedachte.
Als er anfing aufzuzählen, was er Anna alles verdankte und wie schwer es ihm fiele, sie zu verlassen, war sie ohne ein Wort aufgestanden. Sie war aus dem Restaurant gelaufen, ohne zu merken, dass es angefangen hatte zu regnen. Ihre Zukunft, die sie sich Baustein für Baustein aufgebaut hatte, war gekippt wie eine Reihe Dominosteine. Sie hatte noch am gleichen Abend ihren Job in dem Steuerberatungsunternehmen gekündigt, in dem sie damals gearbeitet hatte, sie in der Presseabteilung, Michael als Anlageberater, und sich erst einmal ein paar Wochen im Haus ihres Vaters verkrochen. Danach beauftragte sie einen Anwalt mit der Scheidung. Sie geschah in gegenseitigem Einvernehmen und ging schnell über die Bühne, was daran lag, dass Annaauf alle ihre Ansprüche verzichtete. Sie hatte sich diesen Schritt lange überlegt. Dann war sie zu der
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