Dämonenherz
sich zu beruhigen, aber ihr Herz klopfte bis zum Hals. Carl Wellers Aufzug passte nicht zu einem geschäftlichen Meeting.
»Treten Sie ein«, sagte er.
Anna erstarrte. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, und sie wagte immer noch nicht, sich umzudrehen.
»Ich fürchte, es liegt ein Missverständnis vor«, sagte sie. »Könnten Sie sich vielleicht etwas anziehen?«
»Warum? Ich hatte nicht vor, heute noch auszugehen.«
Er konnte doch nicht im Ernst erwarten, dass sie ein Gespräch über ihre berufliche Zukunft mit einem Mann im Bademantel führte! Vielleicht wollte er sie nur auf die Probe stellen? Anna atmete tief durch. Genau das war es. Er wollte sehen, wie sie auf Überraschungsmomente reagierte.
»Nun kommen Sie schon herein. Ich habe nicht vor, mich auf Sie zu stürzen. Falls Sie das befürchten sollten.«
Anna drehte sich um.
»Odererhoffen«, setzte er hinzu und grinste sie an.
Selbst barfuß war er noch fast einen Kopf größer als sie. Er schenkte ihr ein Lächeln, das sie noch mehr aus der Fassung brachte. Er musste gerade geduscht haben, denn sein Haar war noch feucht und fiel ihm in die Stirn. Sein schmal geschnittener Mund entblößte eine Reihe perlweißer Zähne. Sein Lächeln hatte genau die sinnlich gefährliche Anmutung, die einem Alain Delon als eiskaltem Engel zu Weltruhm verholfen hatte. Sie wich seinem Blick aus und landete ausgerechnet da, wo er den Gürtel seines Hausmantels zu einem äußerst lockeren Knoten geschlungen hatte. Er konnte sich jederzeit lösen, und Anna hoffte nur, sie würde in diesem unwahrscheinlichen Moment nicht mit einem entsetzten Schrei davonstürmen. Sie zwang sich, ihren Blick von seinen Hüften zu nehmen und in seine dunklen Augen zu schauen, mit denen er sie belustigt anfunkelte.
Mit einer eleganten Bewegung trat er zur Seite und machte ihr Platz. Anna schlüpfte an ihm vorbei und wich ihm, so gut es möglich war, aus. Die Tür hinter ihr schloss sich geräuschlos.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Nein danke«, antwortete sie schnell.
Sie wollte diese unangenehme Situation so schnell wie möglich hinter sich bringen. Um von ihrer Befangenheit abzulenken, sah sie sich betont auffällig um. Die Suite war modern eingerichtet. Halogenstrahler verbreiteten ein warmes, gedimmtes Licht. Die bodentiefen Fenster boten einen spektakulären Ausblick über die Stadt. Die Abenddämmerung lag über den Dächern wie eine Decke aus nachtblauer Seide. Einige schmale, schnelle Schatten – Fledermäuse oder späte Schwalben – schossen pfeilschnell am Fenster vorüber und verschwanden in der Dunkelheit.
Sie drehte sich um, aber Weller war verschwunden. Von irgendwoher hörte sie Gläser klirren. Entweder schenkte er sich jetzt einen Drink ein, oder er putzte sich die Zähne. Sie schluckte. Die Situation war so intim und wurde von ihm mit einer solchen Souveränität gemeistert, dass sie eigentlich nur einen Schluss zu ließ:Sie war keine Gefahr für ihn. In ihrer Gegenwart konnte der bestaussehende Mann, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte, bedenkenlos halbnackt herumlaufen. Sie war sich nicht sicher, ob das nun ein Kompliment oder eine Beleidigung war.
Eine riesige Sitzlandschaft stand vor der Fensterfront. Annas flache Ballerinas verschwanden fast in dem knöchelhohen Teppich, als sie zu ihr hinüberging und sich setzte. Augenblicklich versank sie so tief in den Polstern, dass auch das schon wieder eine Aufforderung sein konnte. Alles wurde zweideutig, sogar das simple Hinsetzen. Sie richtete sich kerzengerade auf und musterte den Raum. An den Wänden hingen geschmackvolle, offenbar echte Gemälde, deren pastellfarbene Unaufdringlichkeit mit dem schlichten Understatement der Einrichtung kor respondierte. Der offene Wohnraum ging auf der linken Seite über in einen Erker, der Weller im Moment wohl zum Arbeiten diente, denn auf dem großen Marmortisch lagen verschieden hohe Stapel mit Unterlagen. Auf der rechten Seite führte ein Durchgang ins Schlafzimmer. Das Bett schien unbenutzt. An seinem Kopfende türmten sich Gebirge aus weißen Kissen, und eine Felldecke verbreitete die einzige Andeutung von ungezügelter Dekadenz.
Irgendwo wurde eine Tür aufgeschoben, und Weller betrat das Wohnzimmer. Er trug tatsächlich ein Glas, doch es sah aus, als ob sich nur Leitungswasser mit Eiswürfeln darin befand. Er ließ sich in den Ledersessel gegenüber fallen und stellte es vor sich ab. Er trug immer noch den Bademantel, und Anna begann sich zu fragen, was er
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