Dämonenherz
das Wesen nicht im Mindesten zu beeindrucken. Es stapfte über die Kamera hinweg und weiter auf sie zu. Was um Himmels willen wollte es von ihr? Es hatte doch bekommen, was sie ihm … was sie sich von ihm geliehen hatte, vollendete sie den Gedanken. Sie stellte einen Fuß auf das Fensterbrett und sah hastig hinaus. Sie musste zweimal hinsehen, um zu erkennen, was sich in der Zwischenzeit auf der Straße abspielte.
Der funkelnde Staub rieselte noch immer vom Himmel auf die Erde. Überall, wo er den Boden berührte, begann die Erde zu leben. Schwarze, glänzende Leiber krochen über- und untereinander. Ein metallisch schimmerndes Meer schien sich über die ausgestorbenen Straßen auf sie zuzuwälzen. Es war wie eine schwarze Flut, und Anna konnte nicht erkennen, aus was es bestand. Aber es sah so furchterregend aus, dass sie einfach die Augen schloss.
Das ist ein Albtraum.
Ich schlafe.
Ich werde nie wieder Bohneneintopf aus der Dose essen.
Zumindest nicht so spät am Abend.
Das grauenhafte Brüllen in ihrem Rücken hob wieder an. Ver zweifeltpresste sich Anna die Hände auf die Ohren, aber es hörte nicht auf. Von der Straße her ertönte ein Rasseln, als hätte ein Bataillon Panzer den Marschbefehl bekommen, das Haus zu umzingeln. Sie öffnete die Augen und stieß einen entsetzten Schrei aus.
Alles wimmelte vor Skorpionen.
»Weller!«, schrie sie.
Er war der Einzige, der ihr noch helfen konnte. Wenn sie jetzt aufwachte und er an ihr Bett geeilt käme, wäre das zwar furchtbar peinlich, aber nichts gegen die Todesangst, die sie gerade empfand. Sie kletterte ganz auf das Fensterbrett und hielt sich nur noch am Rahmen fest. Die nächste Sturmbö würde sie nach draußen tragen, direkt in ein Heer giftiger Skorpione. Aber das erschien ihr im Moment noch als eine relativ natürliche Todesursache.
Der Dämon hatte sie fast erreicht. Er streckte seine pendelnden Arme in ihre Richtung aus. Anna konnte gerade noch ausweichen, indem sie sich auf die Außenseite des Fensters schwang, sich am oberen Kreuz festhielt und von einer auf die andere Seite wechselte. Sie war zu schnell für diesen Zombie, der offenbar nicht wusste, wie man seine Gliedmaßen post mortem zu bewegen hatte.
»Hol dir deine Kamera!«, brüllte sie gegen den Wind. »Da unten liegt sie doch, du blöder Affe!«
Das Wesen, das einmal Guyot gewesen war, brüllte auf. Erneut versuchte es, sie zu erreichen. Anna hatte das Gefühl, schon allein durch seine Nähe versengt zu werden. Der Sturm orgelte durch das Zimmer, sammelte sich zu einer Windhose und wehte so heftig an Anna vorbei, dass sie um ein Haar das Fensterkreuz losgelassen hätte und herabgestürzt wäre. Guyot warf den Kopf von der einen auf die andere Seite und fauchte dabei, als ob ihn etwas maßlos ärgern würde.
»Weller!«
Der Sand prasselte in solchen Mengen auf die Skorpionleiber, dass es sich anhörte wie Maschinengewehrsalven. Neue und im merneue Leiber wälzten sich über die Masse, erstickten die, die weiter unten lagen, und bewegten sich immer näher auf das Haus zu. In diesem Moment spürte sie, wie Guyot ihr Bein packte. Es fühlte sich an, als wäre sie in einen Termitenhaufen gerutscht. Sie versuchte, den brennenden Griff abzuschütteln, aber es gelang ihr nicht.
»Lass mich los, du Vollidiot!«
Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihr, sich umzudrehen und der grauenhaften Gestalt mit dem freien Fuß einen Tritt zu versetzen. Genauso gut hätte sie in einen Schwarm Fliegen treten können.
»Was willst du? Loslassen! Hilfe! Weller!«
Das hatte er ihr eingebrockt. Nur er ganz allein. Mit ihm hatte dieser Albtraum begonnen. Offenbar spielte ihr Unterbewusstsein verrückt und gaukelte ihr gerade Bilder vor, die einzig und allein damit zu tun haben mussten, dass sie mit Weller im Bett gewesen war. Dort, wo Guyot sie gepackt hielt, brannte ihr Bein wie Feuer. Sein unmenschliches Brüllen vermischte sich mit dem Heulen des Sturms und dem Rasseln der Skorpionleiber auf der Straße. Gehetzt riskierte sie einen Blick nach unten.
Die Tiere schienen sich alle an einem Punkt der Straße zu sammeln. Sie stiegen übereinander, ohne Rücksicht darauf, dass sie die unten liegenden, zappelnden Artgenossen zerquetschten. Irgendetwas trieb sie an, immer höher zu steigen, sich zu einer schwarzen, zuckenden Masse aufzurichten, die sich langsam auf das Haus zuwälzte.
Das ist das Ende. Ich sterbe in meinem eigenen Albtraum.
Guyot packte sie und schleifte sie mit aller Macht zurück in
Weitere Kostenlose Bücher