Dämonenherz
werfen. Danach würde sie wissen, ob sie gerade ihr Dach mit einem Mörder und seinem Handlanger teilte.
Sie setzte sich auf ihr Bett und legte den Apparat auf das Kissen. Wollte sie das wirklich wissen? Wenn Guyots letzte Fotos tatsächlichbewiesen, dass Weller ihn erschossen hatte, müsste sie sofort die Polizei informieren. Sie beugte sich vor und durchwühlte ihre Tasche, bis sie ihr Handy gefunden hatte. Merkwürdig. Kein Empfang.
Anna hatte wenig Ahnung von Digitalkameras. Ihre ersten Erfahrungen mit Fotografie hatten in einem kleinen improvisierten Labor unter der Treppe geendet, wo sie frustriert verpfuschte Filme wässerte. Später hatte sie nur ab und zu fotografiert. Sie konnte die Menschen nicht verstehen, die in den schönsten Momenten des Lebens lieber durch eine Linse sahen, Entfernungen justierten und Blenden berechneten. Je älter sie wurde, desto einfacher wurde die Handhabung der Apparate. Mit der Digitalisierung und den Handykameras hatte sie sich nie anfreun den können. Was sollten diese Momentaufnahmen, diese Schnappschüsse, die im höchsten Fall abgespeichert und kaum noch ausgedruckt, geschweige denn sorgfältig in Alben geklebt wurden?
Guyots Modell war schwer. Es musste eine Spiegelreflexkamera sein. Ein teures Stück, wie selbst Anna mit ihren mangelhaften Kenntnissen beurteilen konnte. Michael hatte sich vor Jahren etwas Ähnliches angeschafft. Sündhaft teuer und eine dieser technischen Spielereien, mit denen er ihr Geld zum Fenster hinausgeworfen hatte. Aber wenigstens wusste sie, mit welchen Handgriffen man dieses Ding einschaltete.
Auf dem Display erschien das erste Foto. Es zeigte ein weißes Nichts mit zwei glänzenden Punkten. Anna brauchte ewig, bis sie herausfand, dass es die Decke der Hotelsuite sein musste. Die Punkte waren die Halogenstrahler, die den Flur bei ihrem ersten Besuch in weiches Licht getaucht hatten.
Wahrscheinlich war Guyot schon tot, als dieses Foto entstanden war. Nur noch ein reflexhaftes Zucken seines Fingers am Auslöser, keine bewusste Aufnahme. Sie spürte ihr Herz, wie es schwer und schlagend in ihrer Brust lag und den Puls langsam, aber stetig hochtrieb. Das milchig matte Licht des kleinen Displays strahlte in der tiefen Dunkelheit, die um Anna lag wie ein schwarzerBlock. Entschlossen drückt sie auf das Symbol, mit dem sie die Aufnahmen zurücksetzen konnte.
Das vorletzte Bild: Es musste im Fallen aufgenommen worden sein. Unscharf erkannte sie die halbgeöffnete Tür der Suite und einen Schatten, über den sich ein ockerfarbener Schleier gelegt hatte. Anna spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Es war heiß und stickig unter dem Dach, fast wie im Hochsommer. Ihr Finger hinterließ einen Abdruck auf dem Display, als sie auf das nächste Bild zurücksetzte. Verwackelte Schatten. Mit viel gutem Willen konnte man den Eingang der Suite hineininterpretieren. Guyot musste gekämpft haben, anders waren diese Aufnahmen nicht zu erklären. Weitere Bilder, auf denen nichts Genaues zu erkennen war, folgten. Dann hätte Anna vor Schreck beinahe die Kamera fallen lassen. Weller.
Er war es. Er hatte den Arm gehoben, als ob er Guyot einen Schlag versetzen wollte. Sein Gesicht war wutverzerrt. Anna wagte kaum, noch ein weiteres Bild zurückzublättern. Sie zitterte am ganzen Leib. Die Luft schien flüssig zu werden vor Hitze. Jeder Atemzug bereitete ihr Mühe, als ob sie sich plötzlich inmitten eines Backofens befände. Ein leises Singen wie von weit entfernten Strommasten drang in ihre Ohren. Sie tippte ein letztes Mal mit dem Zeigefinger auf das Display und sah in Wellers Augen.
Der Blick schien sie bis in die Haarspitzen zu versengen. Er war genau in dem Moment fotografiert worden, in dem er direkt in die Kamera sah. Seine Augen leuchteten in einem tiefen schillernden Grün. Es sah aus, als ob sie lebten und sich in ihnen die träge Glut eines brodelnden Vulkans spiegelte. Das Singen in ihren Ohren wuchs an zu einem gellend hohen, klagenden Ton. Erschrocken sprang sie auf. Die Kamera fiel auf den Fußboden, das Display erlosch, und noch bevor Anna sich bücken und sie wieder aufheben konnte, erstarrte sie.
Durch die Ritze der Tür kroch gleißend helles Licht. Und noch etwas, knisternd und trocken: Sand. In Sekundenschnelle war der Fußboden bedeckt. Das Licht schickte dünne Strahlen durch denSpalt, die wie Finger über den Boden wanderten. Etwas rüttelte an der Tür. Keine Hand, eher ein Windstoß, der die alten Bretter zum Stöhnen brachte. Instinktiv
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