Dämonenherz
und ohne zu überlegen ergriff sie die Kamera und kletterte auf das Bett. Was zum Teufel war hier los?
Hinter der Tür tobte ein Sandsturm.
Sie drückte sich mit dem Rücken an die Wand. Das ist unmöglich, dachte sie. Es gibt keine Sandstürme in Einfamilienhäusern. Und es gibt auch keine Dreihunderttausend-Watt-Lampen, denn etwas anderes konnte es gar nicht sein, was da draußen gerade angegangen war.
Das Licht hinter ihrer Tür musste aus der Weißglut eines Hochofens stammen. Es leuchtete durch jede Ritze des Rahmens, durchs Schlüsselloch und durch die schmalen Spalten der alten Latten, die sich im Laufe der Jahrzehnte zusammengezogen haben mussten. Der Sturm krachte mit einer solchen Gewalt gegen das Holz, dass es sich nach innen in ihr Zimmer wölbte. Es ächzte und stöhnte unter dem gewaltigen Druck, dem es nicht mehr lange standhalten würde. Anna spürte, wie die Panik in ihr die Oberhand gewann. Sie nahm die Kamera, rannte ans Fenster, riss es auf und sah hinunter. Den Sprung würde sie überleben.
Die Tür explodierte mit einem trockenen Knall und zersplitterte in tausend Stücke. Ein Holzteil verfehlte ihren Kopf nur um Haaresbreite. Der Sand peitschte mit einer solchen Geschwindigkeit auf ihre Haut, dass es sich anfühlte, als würden Millionen Nadeln gleichzeitig in sie gejagt. Das Schrecklichste aber war das, was sich im Widerschein der Glut aus diesem Höllensturm materialisierte: der Mann aus dem Keller.
»Hilfe!«
Anna schrie, so laut sie konnte, doch das Wort wurde von dem Orkan um sie herum verschluckt. Eine Windbö erfasste sie und hätte sie beinahe aus dem Fenster gestoßen. Sand wirbelte an ihr vorbei, sammelte sich zu einer gewaltigen Wolke unter dem Nachthimmel und regnete dann langsam und funkelnd herab.
EinAlbtraum, dachte Anna. Ich muss eigentlich nur aufwachen.
Doch der Mann hinter ihr war sehr real. Auch wenn sie ihn in den wirbelnden Schatten kaum erkennen konnte und er wesentlich größer und massiger wirkte, als sie ihn in Erinnerung hatte – es war Guyot, daran bestand kein Zweifel. Also war er doch nicht tot, was sie in diesem schrecklichen Augenblick zutiefst bedauerte.
Ein neuer Windstoß erfasste sie. Anna verlor um ein Haar das Gleichgewicht. Sie ließ die Kamera fallen und klammerte sich am Fensterbrett fest. Der Sturm um sie herum tobte in einer Heftigkeit, dass sie kaum die Augen offenhalten konnte. Sand knirschte zwischen ihren Zähnen, kroch in Nase und Augen und drohte, sie zu ersticken.
»Was wollen Sie?«
Ihr war klar, dass sie gerade mit einem Wesen redete, das auf den ersten Blick aus einer Windsäule bestand. Aber darüber konnte sie später nachdenken. Jetzt kam es darauf an, am Leben zu bleiben.
Der Schatten öffnete seinen Mund. Ein gewaltiges Brüllen ließ die Wände erzittern und fuhr Anna bis in die Knochen. Da musste jemand sehr, sehr wütend sein. Ihre Finger waren schon ganz taub, so fest hatte sie sich an das Fensterbrett gekrallt. Der Sturm war so gewaltig, dass sie Angst hatte, von ihm davongetragen zu werden und dann aus höchster Höhe direkt auf das Betonfundament des Supermarktes zu knallen.
Der Mann kam einen Schritt näher. Seine Arme baumelten von seinen Schultern herab, als habe er nur mühsam gelernt, sie zu bewegen. Er warf den Kopf in den Nacken und stieß erneut einen tiefen Schrei aus. Er wirkte wie ein hochgewachsener Orang-Utan auf Nahrungssuche, und plötzlich wusste Anna, womit sie seinen Hunger stillen konnte.
»Die Kamera?«, schrie sie. »Da! Nehmen Sie sie mit! Ich will sie nicht haben!«
Sie ging in die Knie, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Ihre taubenFinger tasteten zitternd nach dem Gerät. Als sie es zu fassen bekam und ihm entgegenhielt, begriff Anna, welchen Fehler sie gemacht hatte. Der Mann kam näher. Sein offener Mund war wie ein tiefes schwarzes Loch. Seine Augen konnte Anna nicht erkennen. Das war nicht Guyot. Dieses furchtbare Wesen hatte vielleicht eine entfernte Ähnlichkeit mit ihm, aber es war kein Mensch. Es musste ein Dämon sein, heraufgestiegen zu ihr aus einer furchtbaren Zwischenwelt, mit keinem anderen Auftrag, als sie zu töten.
Gleich war er bei ihr. Anna fühlte, wie sie zu verglühen begann. Der trockene Sand schien alles Leben auszulöschen. Der Wind peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Sie legte die Kamera so weit es ging von sich weg. Dann hockte sie sich hin und schubste sie in Richtung des Eindringlings.
»Ich gebe sie Ihnen zurück! Bitte! Lassen Sie uns in Ruhe!«
Es schien
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