Daemonenhunger
sein Kopf zerspringe auf der Stelle.
»Das reicht.«
Die Stimme war tief und befehlsgewohnt. Vincent schlug die Augen auf und bemerkte einen Elf auf dem Ast direkt unter ihm.
»Hallo, Vincent«, sagte der fremde Elf. »Ich heiße Megon und bin der Anführer der Truppe. Wie ich sehe, haben meine Brüder dir erfolgreich einen Obyon in die Nase eingesetzt. Weißt du, was wir von dir wollen?«
»Ja«, sagte Vincent, dessen Schädel vor Schmerzen dröhnte. »Ich soll euer Sklave sein.«
»Mir persönlich wäre die Bezeichnung Verbündeter lieber«, sagte Megon. »Auch wenn ich einräumen muss, dass du dich vielleicht nicht ganz aus freien Stücken dazu entschlossen hast.«
»Worin besteht eigentlich meine Aufgabe?«, fragte Vincent.
»Grimbowl wird Kontakt zu dir aufnehmen, sobald wir deine Dienste benötigen«, erklärte Megon. »Optar, binde ihn los.«
»In Ordnung, Chef«, sagte Optar und murmelte etwas Unverständliches.
Mit einem Mal verloren die Grasseile, die Vincent hielten, ihre magische Kraft und waren seinem Gewicht nicht mehr gewachsen. Mehrere Reißgeräusche, dann stürzte der Junge auch schon wie ein Senkblei in die Tiefe.
»Fall bloß nicht auf den Boden!« Grimbowl sah ihm hämisch hinterher.
Vincent Drear schwankte heftig, als er so schnell wie möglich nach Hause eilte. Mit einer Hand hielt er sich den entsetzlich brummenden Schädel, die andere hatte er auf den schmerzenden Rücken gepresst.
Vermutlich kann ich noch von Glück sagen, überlegte Vincent. Er hätte sich bei dem Sturz vom Baum glatt den Hals brechen können. Stattdessen war er in eine Hecke gesegelt und von dort mit einem heftigen Aufprall auf dem Hintern gelandet. Damit hatte er wiederum gegen Grimbowls Befehl verstoßen und musste zu allem Übel eine neuerliche Tortur des Obyons über sich ergehen lassen.
Nach einer Weile hatte sich Vincent mühsam aufgerappelt und nach Hause geschleppt. Das niederträchtige Lachen der Elfen verfolgte ihn, doch er widerstand der Versuchung, einen Stein in den Baum zu schleudern, da ihn die Quälgeister sonst vielleicht von neuem piesackten.
Im Augenblick hatte er nur ein Ziel: Er wollte unbedingt vor seinen Eltern zu Hause ankommen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Vincent lief so schnell er konnte. Rennen war ausgeschlossen, sein Po tat ihm einfach zu weh.
Auf dem Heimweg hatte Vincent Zeit genug, darüber nachzudenken, welche Auswirkungen die jüngsten Ereignisse auf ihn haben würden. In seiner Nase saß ein magischer Käfer, und Chanteuse bezeichnete das sonderbare Völkchen, dem er diesen Umstand zu verdanken hatte, als ausgesprochen gemein. Solange sich der Käfer in seiner Nase befand, war er den Elfen ausgeliefert.
Womöglich befahlen sie ihm gar, sich die Arme abzubeißen? Oder jemanden umzubringen? Solange der Obyon in ihm lebte, war er ihr Knecht. Wie lange mochte die durchschnittliche Lebensdauer eines Obyons wohl sein? Und wovon (schluck) ernährten sich die Biester eigentlich?
»Immer schön ruhig bleiben, Vincent«, ermahnte er sich leise, während er dahinhumpelte. »Es muss einen Ausweg geben. Denk nach.«
Ein Fahrradweg führte aus dem Park und bog nach links ab. Nur noch ein paar Straßen, dann befand er sich in Sicherheit.
»Ich könnte ihn einfach herausschneuzen«, überlegte Vincent und wühlte in seinen Taschen nach einem Tem po. Da er keines fand, schneuzte er sich kurzentschlossen in den Saum seines Hemdes.
Nachdem er eine Weile geprustet hatte, gab er es auf. Der Obyon saß zu fest.
»Moment mal.« Vincent schnippte mit den Fingern, als ihm eine neue Idee kam. »Das ist doch ein Insekt, oder? Ich könnte mir eine Ladung Insektenvernichtungsmittel in die Nase sprühen.« Seine Stimmung hob sich augenblicklich, bis ihm einfiel, dass Insektenspray giftig war.
»Verflixt«, sagte er entmutigt. Außerdem gab es bei ihnen zu Hause kein solches Mittel. In den Augen seiner Eltern war jedwedes Leben heilig.
»Vielleicht reicht ja eine winzig kleine Dosis«, überlegte er laut. »Ich könnte zu Big Tom rübergehen und mir was von ihm leihen. Seine Eltern haben einen Riesenvorrat von dem Zeug.«
Big Toms Haus schien das reinste Eldorado für Insekten zu sein. Jedes Mal, wenn Vincent seinen Freund besuchte, machten sie Jagd auf Kakerlaken. Im Keller stapelten sich Kisten voller großer schwarzer Dosen mit Gefahrstoffetiketten. In den darauf abgedruckten Texten wurde dringend davon abgeraten, den Inhalt der
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