Daemonenhunger
erzählten sie ihm, die Kühe müssten sich im Wasser drehen. Das bewahre sie vor dem sicheren Untergang, wenn der Zug käme. Hier gebe es keinen Zug, widersprach Vincent, doch die Bäume versicherten unbeirrt, ein Zug werde kommen und binnen kurzem quer durch den Fluss fah ren. Alle Kühe, die sich bis dahin nicht im Wasser drehten, müssten sterben.
Vincents Floß trieb immer weiter den Fluss hinunter, während er die peitschenden Äste der Bäume abwehrte. Vielleicht wäre alles noch seltsamer geworden, wenn nicht unversehens eine weitere Person aufgetaucht wäre.
»Netter Traum«, sagte Grimbowl. »Symbolismus. Gu ter Ansatz. Viel Fingerspitzengefühl.«
»Grimbowl«, sagte Vincent und erinnerte sich plötzlich vage, dass er die Unterstützung des Elfen benötigte. »Kannst du mir helfen? Wir müssen diese Kühe dazu bringen …«
»Nein, das können wir uns sparen«, antwortete Grimbowl. »Du träumst nämlich gerade, und ich bin hier, um dich da rauszuholen.«
»Wie bitte?«, fragte Vincent. »Aber die Kühe …« Er schwenkte ein wenig überfordert den Reifen.
»Das sind alles Symbole, Kleiner«, sagte der Elf. »Der Fluss steht für die Welt und der Wasserfall für den Weltuntergang. Die Kühe sind die Menschen, und dieser Reifen hier«, er nahm ihn Vincent aus den Händen, »stellt symbolisch deinen Versuch dar, sie zu retten. Ist doch kinderleicht zu erraten. Die Bäume sind ganz offensichtlich deine Eltern. Hast du es jetzt endlich kapiert?«
Vincent blickte sich um und betrachtete seinen Traum aus einem objektiveren Blickwinkel. Nun, da ihn der Elf darauf hingewiesen hatte, wirkte alles ein wenig einfältig. Zwar symbolisch, aber auch einfältig. Außerdem, wieso ausgerechnet Kühe? Was hatten die denn bloß mit der ganzen Sache zu tun?
»Also gut, meinetwegen, dann ist es eben ein Traum«, sagte Vincent einlenkend. »Soll ich jetzt aufwachen?«
»Nein, nicht nötig«, sagte Grimbowl. »Nimm einfach meine Hand und komm mit mir.« Er streckte die Hand aus.
Vincent ergriff sie. »Du hast doch nicht etwa vor, mir wieder irgendwas in die Nase zu stecken, oder?«, fragte er mit einem Anflug von Misstrauen.
»Nein«, erwiderte der Elf und zog Vincent von dem Floß und damit aus seinem Traum.
Vincent und Grimbowl schwebten durch einen dunklen Raum, der auf den Jungen ungemein vertraut wirkte. Erst als Vincent sich genauer umsah, verstand er, warum.
»Das ist ja mein Zimmer im Krankenhaus«, sagte er. Er konnte das Fenster und die Tür genau erkennen. Er sah Max neben seinem Bett stehen und einen Elfen in den Armen halten, der aussah wie Grimbowl. Eine hauchdünne Schnur reichte vom Kopf des Elfen bis hoch zu Grimbowl, der neben Vincent schwebte.
»Was zum …?« Erstaunt blickte Vincent von einem zum anderen. »Wie kannst du an zwei Orten gleichzeitig sein?«
»Ich bin eben nicht der Einzige«, sagte Grimbowl und deutete hinunter.
Vincent folgte dem ausgestreckten Zeigefinger. Dort stand sein Bett, und darin lag … Der Junge wich beim Anblick seines eigenen Gesichts erschrocken zurück.
»Keine Angst, bleib ganz ruhig«, sagte Grimbowl. »Heftige Gefühle befördern dich mit einem Schlag wieder in deinen Körper zurück.«
»Wie bitte? Ich bin doch nicht …« Vincent verstumm te, und plötzlich ging ihm ein Licht auf. »Ich befinde mich in einer Astralprojektion, richtig?«
»Donnerwetter, du bist wirklich schnell von Begriff!«
»Ich dachte immer, Astralprojektionen wären äußerst kompliziert«, sagte Vincent und blickte auf seinen schlafenden Körper hinunter. Auch von seiner Stirn spannte sich ein hauchdünner Silberfaden bis zu seinem astralen Schädel. Seine Hand glitt zum Hinterkopf, denn er fühlte sich, als hätte er einen Schwanz im Nacken.
»Das stimmt durchaus«, sagte Grimbowl. »Normalerweise erfordert es ein Höchstmaß an Konzentration und Willenskraft, aber im Schlaf verlassen wir alle unsere Körper, Kleiner. Wir schweben heraus und begeben uns in unsere persönliche Traumwelt. Wenn man den Trick kennt, kann man einen jeden aus seinem Traum herausholen. Aber davon ein anderes Mal mehr. Dein Bruder hat mir gesagt, dass du meine Hilfe brauchst.«
»Mein Bruder?« Vincent blickte zu Max hinunter, der sich inzwischen auf das Bett gesetzt hatte, ohne Grimbowl loszulassen. »Er hat dich tatsächlich gefunden?«
»Das war nun wirklich nicht schwer«, sagte der Elf. »Ich war sowieso in der Nähe. Ich wollte
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