Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
Schwester. Bald würde man sich, überlegte er beiläufig, eine neue Bezeichnung ausdenken müssen. Das Amt der Ersten Schwester gab es nicht mehr.
Inzwischen herrschte in der Zitadelle wieder Ruhe. Leichter Regen trübte die Aussicht, Nässe sickerte an der Verglasung herab, verzerrte den Anblick der Außenwelt. Tarjanian konnte in der Dunkelheit nichts anderes erkennen als ungefähr viereckige Kleckse gelblichen Lichts, das gegenüber aus den Fenstern der Bücherei drang. Seit dem heutigen Tag bewachten Hüter das Büchereigebäude, um zu verhindern, dass Angehörige der Schwesternschaft sich Zutritt verschafften und Schriftstücke vernichteten, von denen sie nicht wünschten, dass sie in den Besitz der Hüter gelangten.
In der Tat war unterdessen Harith im Verwaltungsbau erschienen und hatte die Forderung erhoben, Garet Warner solle die Zitadelle, nachdem die Hüter sie den Kariern abgerungen hatten, wieder der Schwesternschaft unterstellen. Seine Ablehnung hatte ihr schier die Sprache verschlagen. Eine ungemein hässliche Auseinandersetzung war dem gefolgt, und obwohl der Obrist sich für dieses Mal durchgesetzt hatte, war Tarjanian sich vollauf darüber im Klaren, dass die Schwesternschaft nicht sang- und klanglos den eigenen Untergang hinnahm. In gewisser Hinsicht musste man ihrerseits mehr Verdruss befürchten als seitens der Karier.
Tarjanian hörte, dass jemand die Tür öffnete, sparte sich jedoch die Mühe, sich umzuwenden und zu schauen, wer da eintrat. Sollte Garet Warner sich damit befassen. Der Obrist verstand sich in der hervorragendsten Art und Weise aufs Abwimmeln lästiger Störenfriede.
»Wir haben sämtliche festgenommenen Karier ins Amphitheater verbracht, Obrist«, meldete der Ankömmling; es war Symin, der junge Hauptmann, der Tarjanian befreit hatte. Wann eigentlich …? War es wahrhaftig erst am heutigen Morgen gewesen? »Ich habe genügend Männer zur Bewachung eingeteilt, um einer Flucht vorzubeugen, doch sind wir infolgedessen andernorts recht schwach an Kräften. Die Priester werden gesondert festgehalten. Sie weilen in den Kavernen.«
»Was habt Ihr mit ihren Stäben gemacht?«
»Sie sind in einer Kaverne gesammelt worden. Auch sie habe ich unter Bewachung gestellt. Sie sehen ja recht kostbar aus.«
»Ein karischer Pfaffe trennt sich äußerst ungern von seinem Stab«, bemerkte Tarjanian und starrte unverändert durchs Fenster hinaus ins Dunkel.
»Da habt Ihr Recht«, bestätigte Symin. »Sie haben gehörig gezetert und geheult, als wir sie ihnen fortnahmen. Alle sonstigen Karier hingegen betragen sich fügsam. Es ist mein Eindruck, das Wetter dämpft ihren Kampfesmut. Ich habe ihnen mitgeteilt, dass sie, so sie denn heimkehren möchten, am Morgen ziehen dürfen.«
»Wer ist Befehlshabender ihrer Bewacher?«
»Hauptmann Grannon.«
»Dann geht nun und gönnt Euch etwas Schlaf, Hauptmann. Ihr habt ihn Euch redlich verdient.«
»Habt Dank, Obrist. Gute Nacht wünsche ich Euch. Auch Euch, Hauptmann Tenragan.«
»Gute Nacht, Hauptmann Symin«, gab Tarjanian zur Antwort.
Symin entbot einen schneidigen Gruß, ohne jedoch Tarjanians Blick zu erwidern, und verließ das Kabinett. Aus düsterer Miene schaute Tarjanian ihm nach.
»Er weiß sich wahrlich nicht zu entscheiden«, bemerkte Garet Warner, »ob er Euch als gewaltigen Helden verehren oder vor Euch als einem Wüterich das Weite suchen soll.«
»Es freut mich zu hören, dass Ihr Anlass zum Ulken seht.«
Auf dem Stuhl der Ersten Schwester lehnte Warner sich zurück und räkelte müde die Glieder. »Verwerft diese nutzlose Reuigkeit, Tenragan. Gawn hatte den Tod verdient. Ich hätte an Eurer Stelle das Gleiche getan. Nein, eigentlich nicht … Diesen miesen kleinen Halunken hätte ich ein, zwei Monate lang der Folter unterzogen, bevor er hätte sterben dürfen. Ihr gebt sauberer, ungetrübter Gerechtigkeit den Vorzug. Ich zähle eher zu den Menschen, für die der Zweck die Mittel heiligt. Und ich bin sehr geduldig. Ich kann überaus lange warten, bis für mich der Tag des Vergehens anbricht.«
»Eben Zeit ist es, an der es uns mangelt«, rief Tarjanian ihm in Erinnerung. »Die Karier vor der Stadt werden zum Sturm ansetzen, sobald ihnen in vollem Umfang klar wird, was hier geschehen ist, und dann geraten wir in wahrhaft ernste Bedrängnis.«
»In dieser Beziehung müssen wir auf Eure harshinische Freundin bauen«, sagte Garet Warner. »Ich will hoffen, R’shiel hat nicht vergessen, eine Botschaft nach Hythria zu senden,
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