Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
…«
Wie zur Beantwortung ihrer Frage drang mit einem Mal der Gesang einer Stimme herüber. Sie ertönte in vollendeter Reinheit, und das Lied, das sie angestimmt hatte, rührte in Damins Seele an den tiefinnerlichsten Kern. Es dauerte etliche Augenblicke, bis er sich gewahr wurde, dass er Mikels Stimme hörte. Den Wortlaut konnte er nicht verstehen, der Wind wehte die Wörter samt und sonders davon, bevor es gelang, sie zu unterscheiden. Dennoch verharrte er reglos im Sattel, während die über alle Maßen schöne Melodie ihn gleich zauberhaftem Flaum umflirrte.
Sowohl berückte das Lied, wie es auch berauschte. Es strömte ihm ins Hirn, als ergösse sich köstlicher Wein in ein leeres Gefäß. Es erwärmte ihn ebenso, wie es ihn kühlte. Bildnisse eines Landes, das er nicht kannte, erfüllten seinen Geist, und sogleich verspürte er dorthin eine derartig fürchterliche Sehnsucht, dass es ihn verblüffte. Bei diesem Gesang hätte er gleichzeitig lachen und weinen können. Zagen und Trost durchhauchten ihn im selben Atemzug, Liebe und Hass wurden darin vermengt. Er wünschte sich, das Lied werde niemals ein Ende nehmen.
»Damin, wir müssen reiten! Auf, auf!«
Adrina war es, die ihn zurück in die Wirklichkeit rief. Er spähte hinüber zu den Kariern und erkannte, dass die Wirkung des Liedes, gleich wie tief es ihn auch aufgewühlt haben mochte, auf sie wohl hundertmal stärker ausfiel. Verführerische Schwingungen des Gesangs hallten ihm nach, während er sein Ross wendete und zum Galopp antrieb.
Da wechselte die Melodie unerwartet die Stimmung, und auf einmal verspürte er kein Verlangen mehr, in ihrer Herrlichkeit zu versinken. Von nun an durchzog eine durchdringende Strenge sie, dunkle, verschwommene Schemen verdüsterten ihre Schönheit, die ihn verfolgten, bis er weit genug geritten war, um von den Klängen nicht mehr erreicht werden zu können.
Sobald er und Adrina ausreichend Abstand gewonnen hatten, zügelten sie die Pferde und blickten sich ein weiteres Mal nach den karischen Rittern um. R’shiel stand noch am selben Fleck, doch war inzwischen die Entfernung zu groß, als dass es möglich gewesen wäre, ihre Miene zu erkennen. An ihrer Seite war Mikel und sang den Kariern mit dieser entzückenden, unnatürlich schönen Stimme vor, die den Zuhörer zu gleichen Teilen verlockte und marterte.
Auf Jaymes, so hatte es den Anschein, übte der Gesang keinen Einfluss aus, seine Hand ruhte auf der Schulter des Bruders, als wolle er ihn wider den Wind stützen. Sämtliche Karier jedoch waren vollständig unter ihren Bann geraten. Manche Männer weinten, anderen verharrten in gänzlicher Erstarrung. Garanus war auf die Knie gesunken und presste sich die Hände auf die Ohren. Der junge Graf Drendyn blickte Mikel an, als durchlebe er eine Art von höherer Entrückung. Überall ringsum befanden sich die Männer entweder im Griff der Qual oder der Hingerissenheit.
»Was ist denn das nur?«, fragte Damin. »Was tut sie da?«
»Es ist ›Gimlories Lied‹«, antwortete Adrina, ohne den Blick von den Kariern zu wenden. Aus ihrer Stimme sprach Ehrfurcht.
»Das gibt’s doch«, höhnte Almodavar, »bloß im Ammenmärchen.«
»Nein, man kennt es wirklich und wahrhaftig. Mein Vater wollte einst in Talabar einige Priesterinnen dazu überreden, es vorzutragen. Er hing dem Wahn an, es könnte ihm zu einem rechtmäßigen Erben verhelfen. Aber obschon er ein Vermögen in Gold bot, mochte kein einziger Tempel sich auf eine solche Darbietung einlassen. Von allen erhielt er den Bescheid, es sei zu gefahrvoll.«
»Wie hat dann Mikel das Lied gelernt?«
»Da hat offenkundig, will ich meinen, R’shiel nachgeholfen.« Adrina schaute Damin mit versonnener Miene an. »Sollte die Überlieferung wahr sein, musst du wissen, dann wird derjenige, der ›Gimlories Lied‹ singt, zum Sprachrohr der Götter.«
»Das kann ich wohl glauben«, bekannte Damin und dachte dabei an die Wirkung, die selbst die wenigen verwehten Takte des Gesangs auf ihn gehabt hatten.
Schweigend warteten sie ab, bis das Dämonenkind Mikel anwies, den Gesang zu beenden. Wie vom Schlag getroffen, sank Mikel nieder, als hätte das Singen ihn sämtliche Kräfte gekostet. Behutsam nahm sein Bruder den Besinnungslosen auf die Arme und ging gemeinsam mit R’shiel durch die Ebene auf Damin und Adrina zu.
7
Ungeachtet Adrinas zuversichtlicher Auffassung, eine Landung auf dem Rücken eines Drachen mitten im Innenhof des Sommerpalasts werde ihm zweifellos König
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