Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
Räumlichkeiten, die sie aufsuchten, waren Brakandarans Gemächer. Regelrecht beeindruckt schaute R’shiel sich darin um, weil sie dort Eigenschaften entdeckte, die sie bei ihm nicht erahnt hatte. Am Fenster stand ein Gestell, auf dem ein erst halb vollendetes Landschaftsgemälde ruhte. Nahe dem Bett lehnte eine wunderschön gefertigte Leier an der Wand, daneben lag ein hoher Stoß Tonsetzerschriften auf dem Fußboden.
R’shiel nahm die Leier zur Hand und schlug versonnen ein paar Töne an. Bei dem Tisch am anderen Ende des Zimmers, wo er in Schriftstücken kramte, hob Brakandaran den Blick und zog eine missfällige Miene.
»Ich bitte dich, rühre nichts an, R’shiel.«
»Ich wusste nicht, dass du Leier spielst.«
»Vor Zeiten habe ich es mal getan.«
»Dass du Bilder malst, wusste ich auch nicht.«
»Du weißt über mich eine ganze Menge nicht.«
Achtsam stellte R’shiel die Leier zurück an die Wand und setzte sich aufs Bett. »Warum hat Gevatter Tod davon gesprochen, ihr würdet euch bald wieder sehen?«
Brakandaran zuckte die Achseln. »Er ist ein geselliger Vogel.«
»So war auch mein Eindruck«, sagte R’shiel und lächelte, hoffte auf diese Weise seine Stimmung aufzuheitern. Je länger sie in den still gewordenen, jetzt hohl hallenden Räumen des Sanktuariums geweilt hatten, umso mehr hatte sich sein Missmut vertieft. »Korandellan hat dir geraten, Gevatter Tod in der Gewissheit zu harren, dass dein Opfer nicht vergebens sei. Shananara hat an dich die Frage gerichtet, ob sie dich noch einmal wieder sieht. Weshalb sind diese Äußerungen gefallen?«
»Frag doch sie.«
Brakandaran schob auf dem Tisch Schriftstücke umher, ohne dass sich aus seinem Verhalten ein Sinn ersehen ließ. R’shiel zog den Rückschluss, dass sie ihn verärgert hatte, verstand aber nicht den Grund.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein … Hör her, willst du nicht überprüfen, ob es in diesem Stockwerk noch Räume gibt, die wir vielleicht übersehen haben? Wenn ich hier fertig bin, treffen wir uns auf der Terrasse.«
R’shiel stand auf; ein wenig kränkte es sie, dass er sie so kaltsinnig fortschickte. »Kann ich nicht behilflich sein?«
»Nein.«
»Brakandaran …«
»Nun geh schon!«
Vor dem Zorn in seiner Stimme prallte R’shiel geradezu zurück. »Was habe ich getan, um eine solche Behandlung zu verdienen?«
»Du stehst da, wo du stehst«, entgegnete Brakandaran. »Das ist schlimm genug.«
»Was ist in dich gefahren, Brakandaran? Es ist doch nicht meine Schuld, dass ich hier stehe.«
»O doch, R’shiel, es ist deine Schuld. Und nun wünsche ich, wenn’s denn beliebt, allein zu sein, während ich meine Sachen ordne. Eine andere Gelegenheit finde ich nicht mehr.«
»Also gut, sei’s drum«, antwortete R’shiel. »Nimm dir getrost so lange Zeit, wie du brauchst. Ich kann ja nicht fort.«
Sie rauschte hinaus und lief durch den langen Korridor, ihre Schritte hallten laut und hässlich durch die stille Düsternis. Erst auf dem Balkon, der Ausblick aufs Tal gewährte, machte sie Halt. Brakandarans so unvermutet abweisendes Verhalten kränkte und schmerzte sie. Auf der anderen Seite des Tals prasselte der Wasserfall mit regelrechtem Wohlklang die Felswand herab, doch der sonst ständig sichtbare Regenbogen hatte dem Halbdunkel weichen müssen, das hier des Nachts herrschte. Das Geräusch des Wassers beschwichtigte R’shiels Gemüt. Sie entsann sich nicht daran, irgendetwas getan zu haben, um Brakandarans Unmut herauszufordern. Wenigstens nichts Schlimmeres als anderntags.
Seine plötzliche Unduldsamkeit blieb ihr ein Rätsel. Sie versuchte sich auf alles zu besinnen, was sich seit der Ankunft im Sanktuarium ereignet hatte. Ihr fiel nichts ein, was bei ihm einen solchen Gesinnungswandel hätte hervorrufen können – ausgenommen die Fragen nach Gevatter Tods Worten. Auch auf der Terrasse hatte er sich in dieser Hinsicht sehr empfindlich gezeigt. Und warum, bei allen Gründerinnen, ordnet er mit einem Mal seinen Schriftkram? Man könnte ja meinen …
Ohne den Gedanken zu vollenden, rannte R’shiel zurück zu Brakandarans Gemächern und stieß die Tür auf. Sie maß ihn mit vorwurfsvollem Blick, Tränen verschleierten ihr die Sicht, Zorn und Kummer rangen in ihr um die Oberhand.
» Du bist es.«
»Was?«
»Du bist es, nicht wahr? Dein Leben ist es, das du gegen meines eingehandelt hast, stimmt’s? ›Ein Leben gleichen Wertes‹, hast du gesagt. Du hast mir erzählt, dass du, als Frohinia mich
Weitere Kostenlose Bücher