Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
jeder folgte ihrem Ruf. Sie konnten sich ihr nicht verschließen. R’shiel zog ein derartig gewaltiges Maß an göttlicher Magie-Kraft in ihr Inneres ein, dass sogar die Götter ausnahmsweise einem unwiderstehlichen Zwang unterlagen. Zum Schluss kam Zegarnald, und obwohl seine Erscheinung noch immer bis hinauf zum Säulengang reichte, war er doch auffällig kleiner als sonst.
Dank der mit Shananara eingegangenen geistigen Verbindung bedurfte es keiner Worte. In stummer Übereinkunft dehnten sie die gemeinsame Wahrnehmung auf die gesamte Zitadelle aus. Jeder Gedanke, jegliche Stimmung, jedes fröhliche Gelächter, jeder zotige Gesang und jedweder Tanz, alle Zärtlichkeiten Liebender wurden in den Connex eingesaugt. R’shiel staute alles in sich auf und überließ es Shananaras Kunstfertigkeit, gelegentliche Misslichkeiten gleichsam auszusieben. Zwei betrunkene Hüter prügelten sich wegen einer alten, während ihrer Kadettenzeit geschehenen Beleidigung. Um die Frage, welche das hübschere Kind hätte, zankten zwei Frauen. Ein Liebespaar stritt sich. Alles strudelte durch den Connex, und Shananara läuterte und verfeinerte es mit der Geschicklichkeit einer Magie-Meisterin, bis es einen zusammengefassten, nahezu vollkommenen Inbegriff des Glücks, der Freude und des Frohsinns bildete.
Doch bestand das Gemenge nicht allein aus menschlichem Vergnügen. Die Harshini halfen mit und bereicherten das von R’shiel und Shananara zurechtgebraute Gefühlsgemisch bereitwillig um eigene Einflüsse. Leidenschaft, Lust und eine Andeutung des wundersamen Staunens, das R’shiel im Sanktuarium in der Liebesnacht mit Brakandaran erlebt hatte, ergänzten die ohnehin starke Mischung. Das Ganze genügte, um R’shiel selbst ein Schaudern des Entzückens über den Rücken zu jagen, und sie musste sich mit allem Nachdruck zusammennehmen, um sich von diesen Gefühlen nicht in schieren Glücksrausch stürzen zu lassen.
Welche Frist unterdessen verstrich, merkte R’shiel nicht, sie wusste weder, ob es eben erst hell geworden war, noch ob sie den heutigen Tag schon gänzlich hinter sich hatte. Sie schlug die Lider auf, sah vor sich nichts als den Kristall, der vom Podium aufragte, und legte die Hände an den Seher-Stein.
Während sie tief Atem schöpfte, schleuderte R’shiel alles in ihr Angestaute, ohne sich um Feinheiten oder Künstelei zu scheren, in den Stein. Sie konnte auf nichts anderes als ihre Kraftfülle und die Gewissheit setzen, dass jeder Seher-Stein in ihre geistig-magische Ausschickung einbezogen wurde. Jeder Seher-Stein und jegliches Bruchstück eines Seher-Steins . Auch jeder Xaphista-Stab, der Splitter des zertrümmerten Seher-Steins enthielt, saugte wie ein Dürstender das Elixier der Wonne auf, das sie durch den Connex schießen ließ. Gleichsam bis zum letzten Tropfen, den sie der Zitadelle entwringen konnte, wuchtete R’shiel es hinaus in die Welt und folgte ihm auf geistiger Ebene.
Sie hatte das ärgste Wirrsal entfesselt.
Auch im Groenhavner Seher-Stein pulste das Licht, und R’shiel erhaschte einen Blick auf Kalan, die mit einer Miene der Hingerissenheit vor dem Stein stand und sein unerklärliches Verhalten zu durchschauen versuchte. R’shiels Sicht verschwamm, ein Ruck drehte ihr fast den Magen um, und plötzlich sah sie einen anderen Seher-Stein in einem muffigen Gewölbe, den kahle Priester umgaben, die soeben aus Verzweiflung aufheulten, weil die unversehens vom Stein verstrahlte Glückseligkeit sie von ihrem Gott ablenkte. Im Hintergrund des Bewusstseins spürte R’shiel sogar den Seher-Stein des außerhalb der gewöhnlichen Zeit verborgenen Sanktuariums, der an die Ereignisse anzuknüpfen suchte. Entschlossen sammelte R’shiel ihre Gedanken, die in dem Mahlstrom rasch zu zerfasern drohten, und wandte ihren Geist gen Norden, nach Karien.
Sie ertastete jedes einzelne Stück jedweden Seher-Steins, das sie nur erfassen konnte, und es kam bei den Kristallsplittern zu einer unmittelbaren Rückwirkung. Ihr geistiger Blick fiel in einen riesigen Tempel, dessen Decke Perlmutt-Kacheln schmückten, auf einen Priester in prunkvoller Gewandung, der sich, die Augen aus Entsetzen weit aufgesperrt, an seinen Stab klammerte, während seine Gemeinde dem Bann verfiel, dem R’shiel sie unterwarf. Ein anderer Ort, ein anderer Tempel: ein weiterer tief verstörter Geistlicher, und noch eine Gemeinde unterlag dem Bann. Ein Aufwallen äußerster Verzückung. Wohin ihr Geist auch spähte, überall geschah das Gleiche.
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