Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
Habgierigen in einen Dieb verwandeln. Cheltaran wird jede Wunde heilen, jedes kranke Kind, jede sieche Greisin. Ich sorge dafür, dass die Haupt-Gottheiten jede Bitte erfüllen, deren Gewährung ein Karier erfleht. Die Götter werden dermaßen umfänglich tätig sein, dass innerhalb eines Monats kein einziger Karier übrig bleibt, der noch verstockt ihr Vorhandensein leugnet.«
»Eine so grobschlächtige Fahrlässigkeit müsste das natürliche Gleichgewicht der Gesamtwelt stören.«
»Mir ist es einerlei.«
Tatsächlich kümmerte diese Aussicht sie nicht im Mindesten, und Xaphista ersah, dass sie keineswegs log. R’shiel war nicht bei den Harshini herangewachsen. Allem zum Trotz, was man sie im Sanktuarium gelehrt und was inzwischen Brakandaran ihr erläutert hatte, verstand sie noch immer nicht zur Gänze, welchen Rang die Götter eigentlich im Gefüge des Daseins einnahmen. Ihre Unwissenheit war es, die ihrer Drohung solchen Nachdruck verlieh. Keine reinblütige Harshini hätte ein derartiges Handeln auch nur in Erwägung ziehen können. R’shiel missachtete die Auswirkungen ihres Vorgehens. Sie glich einem Kind, das eine machtvolle Waffe gefunden hatte und sie zu benutzen beabsichtigte, um den eigenen Willen durchzusetzen, ohne zu ahnen, dass der Untergang der Widersacher auch die Selbstvernichtung bedeutete.
Der »Allerhöchste« richtete den Blick auf die anderen Götter, die während des bisherigen Wortwechsels geschwiegen hatten.
»Ihr könnt euch nicht hinter dieser Göre verstecken. Während meine Macht wächst, müsst ihr dem Nichtsein verfallen.«
»Uns kannst du nicht bezwingen, Xaphista« , donnerte Zegarnald, der seinen Unmut nicht mehr bezähmen konnte. »Schau dich nur an! Schon fordert der Zweifel seinen Tribut.«
Zegarnald hatte Recht. In der kurzen Frist seines Aufenthalts im Saal war er sichtlich kleiner geworden. Jedoch wusste R’shiel nicht genau, wie lang es dauern konnte, bis seine Priesterschaft wieder für Ordnung sorgte; und nicht, wie lange die Zweifel und die Verunsicherung seiner Jünger währten, für welche Dauer die Wonnen, mit denen sie überschwemmt und von ihrem Gott abgelenkt worden waren, nachwirken mochten.
»Dafür ziehe ich dich zur Rechenschaft, Dämonenkind.« Deutlicher als mit dieser Ankündigung konnte Xaphista die Niederlage nicht zugeben. Weder gestand er R’shiel einen Sieg zu, noch wollte er sich ohne Gegenwehr beugen. Erbittert wandte er sich, obgleich er im selben Augenblick weiter schrumpfte, an den Kriegsgott. »Ich habe es nicht nötig, dich zu bezwingen, Zegarnald. Wenn die ganze Welt mir zu Füßen liegt, gibt es nie wieder Kriege, und man braucht dich nicht mehr. Jeder von euch steht für ein Laster, das meinen Gläubigen widerwärtig ist. Du, Kalianah, und du, Dacendaran … Sobald erst jeder Mensch glaubt, dass es Sünde ist, liederlich zu sein oder zu stehlen, seid auch ihr überflüssig. Alle werdet ihr beizeiten überflüssig sein. Genießt das Abendlicht eures Niedergangs, Haupt-Gottheiten, denn nach nicht allzu langer Zeit wird man euch nur noch aus trüben, unverstandenen Überlieferungen kennen.«
Xaphistas trotzige Worte standen in schroffem Gegensatz zu seiner augenblicklichen Erscheinung. Längst war er nicht mehr größer als Brakandaran, und er gebot nicht mehr über genügend Macht, um sein Äußeres nach Gutdünken zu wählen. Jetzt stand ein Dämon vor R’shiel, größer zwar als die ihr bekannten Dämonen, aber eigentlich bloß noch ein tobender Giftzwerg. Dennoch gestaltete sich die Verwandlung keineswegs wie aus einem Guss. Gelegentlich wuchs er wieder an, wenn irgendwo Häuflein seiner Anhänger leugneten, was sie erlebt und gefühlt hatten. Ungeachtet dessen schwand er recht zügig dahin. Doch wie viel Zeit blieb noch, bis der Zweifel der Gewohnheit wich? Bevor Furcht das Staunen vertrieb? Ehe die Menschen mit einem Schulterzucken abtaten, was sie empfunden hatten, oder es etwa, was noch schlimmer wäre, dankbar dem »Allerhöchsten« zuschrieben und ihr Glaube sich neu belebte, so wie Glutasche unvermutet zu neuer Flamme entfacht werden mochte?
Nicht lange, so viel wusste R’shiel. Gar nicht so lange.
»Geht«, rief sie den Haupt-Gottheiten zu. »Schwärmt rasch aus unter seinem Volk! Ihr müsst handeln, solange die Gelegenheit besteht.«
Die Mehrheit der Götter entschwand auf einen Schlag, und da erst hörte R’shiel den Lärm. Ein Heulen erscholl, das von allen Seiten gleichzeitig zu ertönen schien. Sie spürte,
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