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Dämonentor

Dämonentor

Titel: Dämonentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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ins Auge: GAS-EXPLOSION IN AMSTERDAMER HOTEL, VIER TOTE. Ja, klar.
Schwermut überrollt mich wie eine schwarze Welle. Ich fühle mich plötzlich alt,
uralt, viel älter als ein Mensch überhaupt werden kann. In der Spüle stapelt
sich schmutziges Geschirr. Ich drehe den Heißwasserhahn auf, lasse das Becken
volllaufen und suche dann nach einem Becher, der nicht allzu verklebt ist, um
ihn gleich abzuwaschen. Dann durchstöbere ich meinen Schrank nach Tee.
    Eine neue Generation von Rechnungen ist auf dem
Nährboden der Korkpinnwand gewachsen. Früher oder später muss ich mich damit
auseinandersetzen – später reicht allerdings auch noch. In der üblichen Ecke
wartet ein kleiner Stapel an mich adressierte Briefe – den glänzenden
Umschlägen nach zu urteilen, ist die Hälfte davon Reklame. Und im Wasserkocher
befindet sich kein Wasser. Ich fülle ihn auf, lasse mich neben dem Motorblock
auf einen Stuhl fallen und warte auf einen Geistesblitz. Mir geht es nicht gut.
Ich merke, wie erschöpft ich bin, außerdem allein und ängstlich. Und bedrückt.
Bis vor wenigen Monaten hatte ich noch nie dem Tod direkt ins Auge blicken
müssen. Nun begegne ich ihm jede Nacht in meinen Alpträumen. Es nimmt mich
körperlich und seelisch mit. Irgendein Arzt hat etwas von einem
posttraumatischen Stresssyndrom gesagt, aber ich habe nicht richtig zugehört.
Wem wohl der Motorblock gehört? Brain oder Pinky? Ich hätte nicht schlecht
Lust, mit den beiden mal Tacheles zu reden, wenn sie nach Hause kommen. Wie
kann man nur so unsozial sein? Wenn nun jemand in der Küche essen möchte?
    Das Wasser kocht, und der Kocher schaltet sich
automatisch ab. Einen Moment lang bleibe ich schwermütig sitzen. Es ist kalt
hier drin. Schließlich stehe ich auf, um Wasser in meinen vorbereiteten
Teebecher zu gießen.
    »Machst du mir auch einen?«
    Vor Schreck verbrühe ich mir beinahe die Hand. »Ich
habe gar nicht gehört, dass du reingekommen bist.«
    »Kein Problem.« Mo rückt einen Stuhl beiseite. »Ich
habe dich auch nicht gehört. Bist du schon lange zurück?«
    »Zurück in England?« Ich durchsuche das Wasser in der
Spüle nach einem zweiten Becher, während sich mein Mund wie von selbst zu
bewegen beginnt. Ich scheine keinerlei Einfluss mehr auf ihn zu haben. »Erst
heute Morgen. Ich bin sofort zu Alan ins Krankenhaus gefahren und war dann für
einige Stunden in der Arbeit. Ein Meeting nach dem anderen. Ich bin eigentlich
die ganze Zeit in Meetings gewesen seit …«
    »Haben sie dich gebeten, mit niemandem darüber zu
sprechen?«, will sie wissen. Ich höre eine gewisse Anspannung in ihrer Stimme.
    »Nein … Nicht wirklich.« Ich spüle einen Becher aus,
werfe einen Teebeutel hinein, fülle ihn mit heißem Wasser und drehe mich dann
zu ihr um. Mo sieht so aus, wie ich mich fühle: zerzauste Haare, zerknitterte
Klamotten, verängstigte Augen. »Mit dir darf ich schon darüber reden, wenn es
dir nichts ausmacht. Du bist ja schließlich eingeweiht.« Ich ziehe einen Stuhl
für sie heran, und Mo setzt sich wortlos. »Haben sie dir gesagt, was passiert
ist?«
    »Ich …« Sie schüttelt den Kopf. »Lockvogel.« Sie hört
sich leicht angewidert an, auch wenn ihre Miene nicht verrät, was in ihr
vorgeht. »Ist es vorbei?«
    Ich setze mich neben sie. »Ja. Hundertprozentig – für
immer. Es wird nicht wieder passieren.«
    Ich merke, wie sie sich ein wenig entspannt. »War es
das, was du hören wolltest?«
    Sie sieht mich durchdringend an. »Solange es die
Wahrheit ist?«
    »Das ist es.« Finster starre ich auf den Motorblock.
»Wem gehört das Ding?«
    Sie seufzt. »Ich glaube, Brain. Er hat es gestern mit
nach Hause gebracht. Ich habe aber keine Ahnung, woher es stammt.«
    »Ich muss wohl mal ein Wörtchen mit ihm reden.«
    »Ist gar nicht nötig. Er meinte, er würde ihn mitnehmen,
wenn er auszieht.«
    »Was?«
    Ich muss verblüfft aussehen, denn Mo runzelt die
Stirn. »Das hatte ich ganz vergessen. Pinky und Brain ziehen aus. Zum
Wochenende sind sie weg. Ich habe es auch erst gestern erfahren, als ich zurückkam.«
    »Na super.« Die Rechnungen, die wie Ameisen die
Pinnwand bevölkern, stechen mir wieder ins Auge. Es gibt nichts Besseres als
plötzlich verschwindende Mitbewohner, um aus einer Telefonrechnung etwas
Beängstigendes zu machen. »Etwas kurzfristig, würde ich sagen.«
    »Ich glaube, das hat sich schon seit einer ganzen
Weile zusammengebraut«, sagt sie leise. »Er meinte, deine Einstellung …« Sie
bricht ab. »Es sei schwer, mit

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