Dämonenturm - Band 1: Stein auf Schädel (German Edition)
bei uns daheim waren die Preislisten des Netzknüpfers und des Schmieds, und die beiden nannten den Ort, wo sie sie aufbewahrten, Hauswand. Sie haben die Listen mit einem Nagel drangehämmert. Hämmert ihr eure Schriften auch an Wände?«
Lenrik kratzte sich am Kopf. Sie betraten nun ein Themengebiet, auf dem er selbst nicht unbedingt ein Experte war.
»Nein, soweit ich weiß, klebt man sie bei uns zwischen Lederdeckel. Aber was willst du denn in einer Bibliothek? Kannst du etwa lesen?«
Mjir nickte. »Aber ja! Wer hätte sonst meinem Vater wohl die Preislisten vorlesen sollen?«
»Klingt logisch. Meine Güte, ich wusste gar nicht, dass du so gelehrt bist.«
Lenrik war anscheinend sehr beeindruckt. Er schaute seinen Freund mit einem ehrfurchtsvollen Ausdruck in den Augen an.
»Hier am Hof können abgesehen von den königlichen Hofdichtern nur die größten Gelehrten, die Magier und der König selbst schreiben und lesen. Das gemeine Volk, ja sogar die meisten Edlen beherrschen diese Kunst nicht. Sie ist geheimnisvoll und wahrlich mächtig, nur wenige Auserwählte werden in die königlichen Schreibstuben aufgenommen und darin geschult, die Zeichen zu deuten, und das Wahre vom Falschen zu trennen wie es das Gesetz des Königs gebietet. Mjir, das ist einfach unglaublich!«
»Nun«, murmelte Mjir verlegen, aber von zurückhaltendem Stolz erfüllt, »mir kamen die Preislisten des Netzknüpfers nie sehr geheimnisvoll vor.«
Schließlich waren sie dann doch in die Küchen gegangen. Erstens, weil es, wie Lenrik erklärte, nicht einfach sein würde in die Bibliothek des Elvenbeinturms zu gelangen, und zweitens, weil der Koch unter Androhung einiger Anekdoten über Mjirs heimatliche kulinarische Erfahrungen jederzeit gern bereit war, das magere Essen aus dem Knappsaal mit einigen schmackhaften Häppchen zu ergänzen. Angesichts solcher Verlockungen wurde das Verlangen nach geistiger Nahrung nur allzu schnell von dem nach rein materieller auf den nächsten Tag verdrängt.
»Die Bibliothek«, sagte Lenrik am folgenden Morgen, während sie sich mit den anderen Rittknappen dem Knappsaal näherten, »liegt, glaube ich, in einem weit entfernten Teil des Palastes. Dort war ich noch nie in meinem Leben und kenne mich nicht wirklich aus. Wozu auch? Ich kann keinen Buchstaben von einer Schweinshachse unterscheiden. Na, vielleicht wenn ich mich entscheiden müsste, welches von den beiden ich essen sollte. Aber ich werde schon für dich herausfinden, wo die Schriften des Hofes aufbewahrt werden, verlass dich drauf. Da wir gerade beim Thema sind, warum willst du eigentlich in die Bibliothek?«
Mjir blieb eine Antwort erspart, da sich in diesem Augenblick die Türen zum Knappsaal öffneten und das muntere Geplapper unter den Jungen augenblicklich verstummte. Sprechen war hier strikt verboten. Und zumindest solange Lortfelt selbst noch nicht mit kauen beschäftigt und folglich abgelenkt war, war es angeraten sich dem Verbot zu fügen.
Die Rittknappen strömten in den Raum hinein und verteilten sich an den Tischen. Alle blickten erwartungsvoll zu der Tür, die zu den Küchen führte. Doch sie öffnete sich nicht. Ein Räuspern zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Am obersten der Tische, zwischen den ältesten und stärksten der Knappen, hatte Drakembart von Lortfelt sich erhoben.
»Bevor wir uns unserem üblich deliziösen Festmahl zuwenden«, sagte er mit einem widerlichen Grinsen, »habe ich euch etwas mitzuteilen. Wie ihr alle wisst, nähert sich der Tag des Mittsommers, und aus diesem Anlass hat unser großer König beschlossen ein Fest auszurichten.«
Er hielt inne und ein Sturm von Applaus brach los. Niemand wollte den Eindruck erwecken, dass er nicht alles, was der Schwertmeister von sich gab, für den Gipfel und die Krönung der erleuchteten Weisheit hielt.
Stolz von links nach rechts blickend, genoss der Tyrann das Schauspiel für einige Zeit.
Sie klatschten.
Und klatschten weiter. Niemand wollte aufhören zu klatschen. Zumindest wollte niemand der Erste sein, der damit aufhörte.
Als es Lortfelt schließlich zuviel wurde, ließ er seine gewaltige Faust auf den Tisch hinabdonnern, dass die Becher schepperten. »GENUG! Also, hmm, wo war ich … ja, unser König will ein Fest veranstalten. Der Mittsommertag ist der Tag, an dem seit jeher der Tribut aus den Fürstentümern Erthain, Mertameir und Wasserwalden eintreffen, und durch diese Feier kann den Abgesandten ein würdiger Empfang bereitet werden, und zugleich wird
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