Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
endlich! Entladet euch! Schickt uns Böen, Regen, wenn’s sein muss, auch hühnereigroße Hagelkörner, aber bereitet dieser elenden Hitze ein Ende. Aber sie tun es nicht.
An so einem Abend im aufgeheizten Betonklotz eines kombinierten Schul- und Kulturzentrums Kabarett machen zu müssen, ist nichts Schönes, auch wenn die Bühne in dem kleinen Oberpfälzer Ort legendär dafür ist, dass hier schon sämtliche Größen des bayerischen, wenn nicht sogar bundesdeutschen Kabaretts aufgetreten sind. Heute gleicht sie eher einer Sauna, und in der sogenannten Garderobe – einem kleiderschrankgroßen Verschlag mit Spiegel und einem winzigen Tischchen direkt neben der Bühne – ist eine Luft, als hätte gerade jemand einen Aufguss gemacht.
Auch das Publikum – sonst viel gelobt für seine Aufgewecktheit und sein Kabarettverständnis, was es zu einer idealen Kontrollgruppe für Vorpremieren macht – ist heute träge und pointenresistent, sodass Helmut, als wir nach der Vorstellung wieder an die immer noch schwüle und erdrückende Luft kommen, einen wahren Knochenjob hinter sich hat.
Wie üblich geht es dann in den Oberpfälzer Hof, wo im Hinterzimmer schon die Einheimischen warten, zum Ratschen, Anfreunden und Fachsimpeln. Der Raum ist eine Art Kabarettmuseum der Windischeschenbacher Kleinkunstbühne »Futura 87« – wer hier nicht an der Wand hängt, der hat zumindest im bayerischen Kabarett der letzten 25 Jahre nicht seine Duftmarke gesetzt.
Wir sitzen hier, weil drüben in der großen Gaststube gähnende Leere herrscht, trinken malzig braunes Zoiglbier, dessen herausragendstes Merkmal es ist, dass das Krügl nur einen Euro siebzig kostet, und hören Geschichten von Feuerwehrbesäufnissen und »echten« Zoiglwirtschaften, »da, wo noch ned so viele Touristen sind«. Die ersten Russen sollen schon gesichtet worden sein, versichert uns der Wirt in seinem maulig-bellenden Oberpfälzer Dialekt, an den man sich überraschend schnell gewöhnt. Und natürlich haben sich die unmöglich benommen, die Russen.
Ob das wohl das größte Problem dieses Ortes ist, fragen wir uns, dass Touristen aus aller Herren Länder wie die Lemminge hier einfallen?
Die leer stehenden Geschäfte draußen auf dem Hauptplatz sprechen eine andere Sprache, ebenso wie die ausgeblichenen Ansichtskarten, auf denen längst zum Oldtimer gewordene Opel Kadett und Ford Taunus nostalgische Erinnerungen wecken; oder die Pril-Blumen aus Styropor im Schaufenster eines Haushaltswarengeschäfts. So sieht kein Ort aus, den der russische Oligarch als Alternative zu St. Moritz oder der Côte d’Azur ins Auge fasst, das hier ist eher eine Käseglocke, unter der sich ein Bayern erhalten hat, wie es vor dem Anbranden des Stoiber’schen Modernisierungs-Tsunamis auch anderswo noch existiert hat. Und das macht dieses Windischeschenbach auch so liebenswert, dass es einem eine Reise in die Vergangenheit ermöglicht, ohne in ein denkmalschutzkonform aufgebrezeltes Museumsdorf fahren zu müssen. Alles hier verströmt – ist man erst einmal auf den Trichter gekommen – den zart schmelzenden, melancholisch angehauchten Charme völlig unspektakulärer Nostalgie: der matt gewordene gelbe Lack der Briefkästen, die Telefonzelle in ihrem ausgewaschenen Magenta, in der sich sogar noch ein funktionierendes Münztelefon befindet – Relikte einer Zeit, in der es weder Handy noch E-Mail gab, dafür aber Bundespost und Bundesbahn und Urlauber, für die Orte wie Windischeschenbach das Nonplusultra der Erholung waren.
Leerstand
Später, im Hotelzimmer, wird einem noch deutlicher bewusst, in was für einer Zeitmaschine man sich hier befindet: Ein dicker Röhrenfernseher aus einer deutschen Fabrik, die heute fernöstlicher Billigware einen klingenden Namen verleiht; schwere Holzmöbel mit Brandflecken von Zigaretten, die irgendjemand ausgerechnet auf der Sessellehne herunterbrennen hat lassen; Teppichböden, die man lieber nicht mit nackten Füßen betreten will, obwohl sie optisch völlig sauber wirken; mehrarmige Messingleuchter mit stilisierten Maiglöckchen drauf. Von fünf eingeschraubten Glühbirnen brennen gerade mal drei.
Am nächsten Morgen röcheln schwere Harleys übers rumpelige Kopfsteinpflaster. Autos mit wummernder Stereoanlage dröhnen bassbetonte Musik hinauf zu unseren offen stehenden Fenstern.
Nach der heißen, schwülen Frühlingsnacht hat es auch ohne Gewitter deutlich abgekühlt, und ein melancholisch feuchter Samstag hängt grau über dem Ort.
Hotels
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