Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
einmal vorsichtig: etwas anderen Ort einer strengen Prüfung. Ob wir es bei dem Raum mit gewachsenem Fels zu tun haben oder ob man wie König Ludwig in Neuschwanstein mit Gips, Stuck und Farbe etwas nachgeholfen hat, um die Garage ein wenig »grottesker« zu machen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Das schmiedeeiserne Gitter vor der heiligen Szene scheint jedenfalls echt zu sein, ebenso wie die beiden mit bunten Polstern versehenen Holzstühle, die entweder aus dem Fundus eines Möbelmuseums oder aus einem Wohnzimmer in Windischeschenbach stammen müssen. Neben dem Garagentor kann man Kerzen kaufen – kurze für zwei Euro, längere für drei, Teelichter für 50 Cent. »Opferstock ist gegenüber« verkündet ein einlaminierter Computerausdruck, und hinter drei massiven Kruzifixen finden wir sogar ein Votivbild: die mit einem Reißzwecken an der Wand befestigte Zeichnung einer vom Heiligenschein umkränzten Madonna mit der Aufschrift »D’ Mare houd gholfn und wird wieda hölfn«.
Wer mag diese Zeichnung wohl hier angebracht haben? Ein Heimatdichter, der sich über Eingebungen zu einer Oberpfälzer Lautschrift freut? Oder Mitglieder der örtlichen CSU, die sich für gestiegene Umfrageergebnisse bedanken und die Patrona Bavariae für die nächste Landtagswahl schon mal gnädig stimmen wollen? In ihrem Schaukasten in der Hauptstraße preist die Partei allerdings eher neudeutsch eine »Ladies After Work Party« an, »Powered by CSU«, aber leider nicht in Windischeschenbach, sondern nur in größeren Städten, von denen die nächste das 130 Kilometer entfernte Kulmbach ist. Vielleicht wird ja auf diesen Damenpartys über das Plakat diskutiert, das im Schaukasten gleich daneben hängt und völlig unbeeindruckt von Frauenquote und Gender Mainstreaming verkündet: »Auf jeden Bayern kommt es an«. Dann is’ recht!
Wir ziehen weiter, an Automaten mit halb versteinerten Kaugummikugeln und leer stehenden Geschäften vorbei zur Gelateria, deren Espressomaschine einer der großen Anziehungspunkte des Ortes ist, zumindest für uns. Hier ist man in der Windischeschenbach’schen Zeitmaschine ein Jahrzehnt weiter gereist und in den 80er-Jahren angekommen – grün bezogene Polsterstühle aus schwarz lackiertem Stahlrohr, nach oben leicht dreieckig zulaufend, quadratische Tische aus poliertem Pressstein. In einer Ecke eine ziemlich schräg in ihrem Topf stehende Yuccapalme, an den Wänden abstrakte Bilder, die gut und gerne von einem so exotischen Ort wie der Malermeile auf der Münchner Leopoldstraße stammen könnten.
Der freundliche, kabarettbewanderte Wirt versichert uns nicht nur, dass seine Kaffeemaschine 365 Tage im Jahr läuft, er erzählt uns auch eine irrwitzige Geschichte aus dem nahe gelegenen Tirschenreuth, wo die Gemeinde offenbar nach 90 Jahren von ihren Bürgern rückwirkend Kanalgebühren einfordert – es sieht ganz so aus, als unternähmen auch die Stadtkämmerer der Oberpfalz Reisen in der Zeitmaschine. Wir fragen uns natürlich gleich, was passieren würde, sollte die Reise noch weiter zurückführen: »Sehr geehrter Kanalkunde, wir haben im Jahr 1156 bei diesem Anwesen einen Wassergraben angelegt, die Gebühren wären damals ein halber Silberpfennig gewesen, aber leider können wir in der Stadtchronik keinen Zahlungseingang finden, deswegen ersuchen wir Sie, die noch ausstehende Summe bis zum ersten des nächsten Monats zu begleichen. Die käme dann inklusive Zinsen und Mahngebühren auf umgerechnet viereinhalb Milliarden Euro …«
Wir bestellen uns ein epochensicheres Banana Split und blicken an einem tätowierten Kahlkopf vorbei hinaus auf die gegenüberliegende Seite der Straße, wo man auf einem Sockel aus Granit eines der wenigen Denkmäler Windischeschenbachs erkennen kann, vorausgesetzt, man weiß, was es ist: Handelt es sich dabei doch um einen Bohrkern, einen schmalen, langen Zylinder aus Gestein, den irgendein Künstler in ein umschlingendes Kleid aus Bronze gefasst hat. Dabei haben es diese paar Kubikzentimeter Gestein, die da weitgehend unbeachtet am Straßenrand stehen, durchaus in sich: immerhin hat sie der Bohrer dem tiefsten Punkt Bayerns entrissen, der gleichzeitig der tiefste Punkt des ganzen Planeten ist. Ein absoluter Tiefpunkt sozusagen, den die KTB erreicht hat, die Kontinentale Tiefbohrung. So nannte man das Projekt, mit dem das Bundesforschungsministerium zwischen 1990 und 1994 bei Windischeschenbach Wissenschaftsgeschichte schrieb und als dessen Überbleibsel heute noch
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