Daisy Sisters
Eivor.
»Algots.«
»Arbeitest du da?«
»Ja. Du auch?«
»Nein. Aber ich würde gern da anfangen.«
Annika Melander ist neunzehn, aus Gånghester, und sie näht seit gut einem Jahr bei Algots. Es ist ganz erträglich, das Tempo ist hoch, der Vorarbeiter kleinlich, und oft wird es eintönig, immerzu die gleichen Säume an einer größeren Partie Hosen oder Blusen zu nähen. Aber wenn Eivor ihr eine Zigarette gibt und so unheimlich interessiert daran ist, bei Algots anzufangen, so muss sie ihr natürlich sagen, dass es der beste aller Arbeitsplätze ist …
»Du musst nur zum Personalbüro raufgehen«, sagt sie.»Die brauchen Leute. Jetzt tauchen schon Jugoslawen und alles mögliche andere Volk auf.«
Eivor versucht herauszuhören, was sie konnte, als sie bei Algots anfing.
Aber da ruft jemand an einem anderen Tisch Annika etwas zu, und sie verschwindet. Kaum ist sie vom Tisch aufgestanden, als sich auch schon jemand auf ihren Stuhl plumpsen lässt. Nicht nur einer, sondern gleich zwei teilen sich den Stuhl.
»Kennst du Annika gut?«, fragt der mit dem langen, zurückgekämmten Haar, das im Nacken absteht.
Eivor kennt alle und kennt sie auch wieder nicht, aber sie ist auf dem besten Weg dazuzugehören, und da sie Single ist, bekommt sie immer ein Angebot, ein Getränk zu probieren oder in einem Auto mitzufahren.
Als Annika wieder an ihrem Tisch auftaucht und fragt, ob sie mitkommen wolle, steht Eivor sofort auf, muss nicht erst wissen, wohin. Jetzt wird es offensichtlich Zeit zum Aufbruch, und da geht alles in rasender Eile, jetzt geht es darum, den Samstagabend ernsthaft in Angriff zu nehmen …
Sie rutscht mit Annika auf den Rücksitz eines weiß lackierten Schlachtschiffs von einem Ford, gebaut auf einer Werft in Amerika und jetzt in Borås zum Rockerauto avanciert, nachdem es einige Jahre als Direktionswagen eines Schrotthändlers in Hedared zugebracht hatte. Auf dem Vordersitz drängen sich drei Burschen, auf dem Rücksitz kauern Annika und Eivor, umrahmt von zwei anderen. Es ist eng, verräuchert, ein batteriebetriebener Schallplattenspieler hüpft und produziert seltsame Töne auf seinem Platz an der Heckablage. Das Auto schaukelt langsam los, noch jemand will rein, wird aber abgewiesen, jetzt ist es voll.
»Fahr doch endlich, verdammt noch mal«, schreit der, der neben Eivor sitzt. Das Auto ruckt an, und dann kommen sieendlich los. Neun Runden um den Marktplatz, langsam, mit einer gewissen Würde. Das Schlachtschiff fährt dicht auf, nähert sich dem Volkswagen, der da nichts zu suchen hat. Immer rundum, ein Plausch durch das heruntergekurbelte Seitenfenster, über Verkehrskontrollen auf dem Weg nach Göteborg, über jemanden, der aufgehört hat zu rauchen …
»Willst du?«, fragt der, der neben Eivor sitzt, und reicht ihr eine Flasche. Sie nimmt einen Schluck, das ist sicher Wodka mit irgendeiner Apfelsinenmischung, beinahe lauwarm, aber sie trinkt es natürlich.
Während der zehnten Runde fährt man an den Rand und macht am Wurstkiosk fest, der gleich beim Theater liegt. Dort erfährt man, dass in Gislaved eine Mitternachtsgala stattfindet, mit niemand Geringerem als The Fantoms , und die sind, verdammt noch mal, nicht schlecht, der Bassgitarrist hat ja vorher bei The Rockets gespielt. Gislaved ist nicht weit, ein Scheißkaff auf der anderen Seite der Grenze zu Småland, da fahren wir hin.
Aber zuerst noch mal ein paar Runden um den Marktplatz, wieder rein in die Schlange der betagten Schlachtschiffe. Durch die Autofenster verbreitet sich die Nachricht über Gislaved; diejenigen, die noch keine Mädchen im Auto haben, bremsen und versuchen, welche zu locken, die da am Geländer zum Viskan herumstehen. Hier drin ist alles voll, aber man müsste, verdammt, einen Anhänger haben, denn die zwei da sehen nicht schlecht aus. Vielleicht Schwestern …
Gegen neun wird es Zeit, sich auf den Weg nach Gislaved zu machen, und als der Tank voll ist, steuert das Schlachtschiff hinaus auf die dunklen Straßen. Eivor fühlt einen Arm um sich und wird geküsst. Er riecht nach Branntwein und Tabak, aber das tut sie ja schließlich auch, so dürfte sich das wohl ausgleichen.
Im Lokal in Gislaved herrscht ein teuflisches Gedränge.Hier kocht es bald über, der Boden kracht unter der aufgeheizten Volksmenge.
The Fantoms aus Göteborg spielen genau eine Stunde, und sie haben was drauf. Über den Sänger muss man wohl nicht in Ekstase geraten, aber der Drummer ist wild, er versteht es, mit Armen und Beinen zu
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