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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Eivor nennt ihm die Adresse, und er weiß, wo das ist.
    Er hat eine fast volle Flasche Branntwein, und Eivor kocht Kaffee, sodass es ein Kaffee mit Schuss werden kann. Sie setzt den batteriebetriebenen Plattenspieler in Gang, den sie sich gekauft hat, und wählt zwischen den von Liisa geliehenen Scheiben.
    Dann prosten sie sich zu, hören Cliff Richard und Living Doll , und jetzt betrachtet sie Jacob. Helle Haare, Sommersprossen, große blaue Augen und eine Narbe am Mundwinkel. Er ist ein paar Jahre älter als sie, vielleicht vierundzwanzig.
    Eivor dreht die Lautstärke hoch, will zeigen, dass sie nicht viel Rücksicht auf ihre Nachbarn nimmt. Über ihr wohnt ein altes Fräulein, das in der Bäckerei arbeitet, und Eivor kann sich kaum vorstellen, dass sie mehr wagen würde, als auf den Boden zu klopfen.
    Unni und Roger hocken auf dem Sofa, Eivor sitzt auf einem Kissen vor dem Plattenspieler, und Jacob hängt im Sessel.
    »Was für ein Abend«, sagt Roger, als die ersten Kaffees mit Schuss durch die Kehlen gelaufen sind. Unni soll auf dem Nachhauseweg das Steuer übernehmen und sagt nichts. Jacob murmelt irgendetwas Undeutliches, so bleibt es Eivor überlassen zu antworten.
    »Ja, verdammt«, sagt sie.
    »Man sollte nach Göteborg ziehen«, sagt Roger.
    »Ja«, sagt Eivor.
    Und so wäre der Abend zu einem Nichts zerronnen, wenn da nicht plötzlich auf der Straße Leben aufgekommen wäre. Zwei Autos hupen dermaßen, dass es sich zwischen den Häuserwänden wie das Heulen von Sirenen anhört, jemand schreit und bekommt bald Gesellschaft von einem grölenden Chor.
    Alle sind zum Fenster gerannt. Zwei große Schlachtschiffe stehen da und versperren die Straße.
    »Das ist ja, verdammt noch mal, Kalle Fjäder«, sagt Roger. »Wie zum Teufel weiß er, dass …«
    »Sie haben wohl das Auto gesehen«, sagt Unni.
    »Ich will sie hier nicht haben«, sagt Eivor.
    Aber es ist schon zu spät, aus den Autos quellen die Menschen. Wie die alle darin Platz gefunden haben, ist unbegreiflich.
    »Roger«, rufen sie. »Roger …«
    »Ich will sie hier nicht haben«, wiederholt Eivor, und nun bekommt sie Angst. Auf der anderen Straßenseite wird bereits hinter einigen Fenstern Licht gemacht. Aber sie sind schon im Treppenhaus, Flaschen klirren, und sie hat das Gefühl, ihr Herz steht still. »Was sind das für welche?«, fragt sie und packt Rogers Arm.
    »Jetzt beruhige dich, verdammt noch mal«, sagt er und geht zur Tür, um zu öffnen.
    »Führt euch nicht so höllisch auf«, ruft er. »Kommt rein.«
    Es sind sechs Jungen und fünf Mädchen. Sie stürmen herein wie ein Haufen verrückter Stiere, und Eivor kann absolut nichts machen. Sie fühlt, dass sie kurz davor ist, zu weinen, aber als sie sieht, dass Unni sie interessiert anstarrt, als ob sie genau diese Reaktion erwartet hätte, da beißt sie die Zähne zusammen.
    »Schönes Mädchen«, sagt jemand und greift nach ihr. »Wohnst du hier?«
    Sie antwortet nicht, sondern macht sich einfach los.
    Es ist wie ein einziges lang gezogenes Grölen, ein tobender, saufender Heereszug von Menschen mit Alkohol statt Blut in den Adern. Sie kann nichts machen, eine Gardinenstange stürzt herunter, als jemand die Balance verliert, der Plattenarm bricht ab, weil jemand Unfug damit treibt, ihre einzige Blumenvase überlebt nur wenige Minuten. Und die ganze Zeit schaut Unni sie an, kaut an ihrem Kaugummi und wartet auf ihre Reaktion.
    In diesem Augenblick beginnt Eivor, sie zu hassen.
    Wie lange es dauert, ehe vier Polizisten im Flur stehen, weiß sie nicht. Es kann eine viertel oder eine halbe Stunde gewesen sein. Aber jetzt stehen sie da, und langsam nimmt der Lärm ab.
    »Was ist hier los?«, fragt der ältere Polizist.
    »Party«, sagt einer, und seinen Worten folgt dröhnendes Beifallsklatschen.
    »Wer wohnt hier?«, fragt der Polizist.
    »Ich nicht«, antwortet jemand.
    Unni kaut und sieht Eivor an.
    »Das bin ich«, sagt Eivor.
    »Weißt du, wie spät es ist?«, fragt der Polizist.
    »Nein«, antwortet sie.
    »Ihr seid im ganzen Viertel zu hören«, sagt er und sieht sich um. »Es sind vier Beschwerden gekommen.«
    Eivor will erklären, wie es kam, tut es aber nicht. Gegen die Polizei müssen sie zusammenhalten, was immer geschieht. Ansonsten würde sie sofort ausgestoßen.
    Ein etwas jüngerer Polizist ist zu einem Mädchen gegangen, das auf dem Boden sitzt und sich vor und zurück wiegt; die Haare hängen ihm übers Gesicht.
    »Wie alt bist du denn?«, fragt er.
    »Fahr zur Hölle«,

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