Daisy Sisters
dass das Wasser kocht, hört sie, wie er die Scherben der zerbrochenen Vase aufsammelt. Bevor sie mit den Tassen und der Kaffeekanne hineingeht, richtet sie im Badezimmer ein wenig ihre Haare und streicht ihre Kleider glatt. Erst als sie auf dem Weg hinaus ist, sieht sie, dass sich während der Nacht dort jemand erbrochen hat, über den Toilettensitz und den Fußboden.
»Magst du gerne Kotze aufwischen?«, fragt sie, als sie den Kaffee eingegossen hat.
»Nein«, sagt er und schaut sie erstaunt an.
»Schade. Sonst hättest du auf der Toilette sauber machen können.«
»Hast du gekotzt?«
»Ich nicht. Einer von Rogers Kumpeln. Fritslakotze.«
»Ich mache das«, sagt er und steht auf.
»Trink erst den Kaffee, solange er warm ist.«
Er starrt auf den Kaffee und wartet, dass er abkühlt. »Ich arbeite in Valles Sportgeschäft«, sagt er und sieht merkwürdig froh aus.
»Aha«, sagt sie. »Wo liegt das?«
»Du weißt nicht, wo Valles Sportgeschäft liegt?« Er ist beinahe bestürzt.
»Doch, jetzt erinnere ich mich«, sagt sie, um ihn zu beruhigen. Aber sie weiß es keineswegs.
»Hab ich mir doch gedacht«, sagt er. »Das weiß jeder.«
Dann trinkt er ein paar Schlucke, geht zur Toilette und macht sauber. Sie hört, dass er sich lange die Hände wäscht, als er fertig ist.
Eivor ist müde und würde sich am liebsten wieder hinlegen, aber da ist etwas mit diesem stillen, rücksichtsvollen Jacob, der sie plötzlich zu interessieren beginnt. Dieses Scheue, das sich schnell in großes Staunen verwandelt. Er ist nicht besonders hübsch mit seinem spitzen Gesicht, und dieNarbe am Mundwinkel ist hässlich. Aber sie fühlt sich sicher bei ihm, und das ist ein seltenes Gefühl, seit sie in Borås wohnt.
»Ich dachte bloß, dass ich hereinschauen sollte und sehen, wie es dir geht«, sagt er. »Ich wohne ja in der Nähe.«
»Wo denn?«
Er nennt eine Straße am anderen Ende der Stadt.
»Ich hoffe, es hat dir nichts gemacht«, sagt er.
»Nein, was denn?«
»Ich weiß nicht.«
Das klingt wie ein Wort vom unschuldigsten aller Kinder. Er ist ganz anders als die anderen, die sie getroffen hat. Von Lasse Nyman bis …
Sie trinken ihren Kaffee, und an diesem stillen Sonntagmorgen nimmt ihr Leben mit Jacob seinen Anfang. Es ist fast elf Uhr, der Klang der Kirchenglocken von Caroli vermischt sich mit dem Läuten der Gustav-Adolf-Kirche. Sie reden nicht viel, und allein schon die Tatsache, mit jemandem still zusammensitzen zu können, sich nicht die ganze Zeit gedrängt zu fühlen, etwas sagen zu müssen, ist wie Watte um die Erinnerung an die letzte Nacht. Zum ersten Mal hat sie das Gefühl, sich auszuruhen. Aber von Verliebtheit ist bei beiden keine Rede.
Er geht gegen zwölf. »Wir sehen uns wohl noch«, sagt er. »Die Stadt ist ja nicht so groß.«
»Als ich hergezogen bin, dachte ich, sie ist viel zu groß«, sagt sie.
Er sieht sie erstaunt an. »Woher kommst du denn?«
»Das rätst du nie.«
»Nein.«
»Aus Hallsberg.«
»Hallsberg?«
»Ja, genau. Tschüss.«
Anfangs ist ihre Verbindung für die Umwelt unsichtbar. Auch sie selbst scheuen vor der Tatsache zurück, es werden keine gewaltigen Gefühle in Bewegung gesetzt, niemand ist Zeuge ihres Sonntagstreffens gewesen. Aber sie fangen an zusammenzuhängen, sitzen nebeneinander bei Cecil, gehen zusammen ins Kino, fahren im selben Auto, tanzen die meisten Tänze miteinander. Eivor empfindet eine gewisse Sicherheit mit Jacob an ihrer Seite, sie freut sich auf den Samstagabend. Er trinkt wenig und wird nie streitsüchtig oder rechthaberisch. Er macht nicht viel von sich her, lacht nicht als Erster, kommt nie zu spät, er befindet sich immer irgendwo in der Mitte. Manchmal kann Eivor ihn nur staunend betrachten. Wer ist er eigentlich? Was meint er? Was denkt er? Abgesehen von dem, was alle meinen und denken?
Und natürlich schlafen sie miteinander. Er kommt mit zu ihr in die Wohnung, er steigt ganz selbstverständlich mit aus, wenn Eivor spät am Samstagabend nach Hause gefahren wird. Sie liegt im Dunkeln und lauscht diskret, aber aufmerksam, wenn er auf der Bettkante sitzt und mit dem Gummi hantiert. Sie muss es ihm nie sagen, er scheint es als Selbstverständlichkeit zu empfinden. Mit ihm kann sie auch zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Vergnügen und Befriedigung empfinden. Nicht viel, es geht meistens sehr schnell bei ihm, aber immerhin ein wenig. Außerdem ist er nicht grob, er berührt sie ganz vorsichtig. Nein, da ist nichts, wovor sie sich
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