Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:

    Aber allmählich erkennt Eivor, dass sie nicht einfach mit dem Vorfall leben kann, ohne auch selbst zu vergessen , was geschehen ist. Manchmal wird sie von dem verwirrenden Gedanken überfallen, sie habe alles nur geträumt. Immerhin hatte sie keine Spuren im Gesicht nach der Ohrfeige, und was sie im Innersten wusste, unterdrückte sie, zwang sichum des Jungen willen, so zu tun, als wäre nichts geschehen; als hätte sie nur gute und glückliche Karten in der Hand.
    Es sollte viele Jahre dauern, bis sie vor sich selbst zugeben konnte, dass das, was geschehen war, während sie auf der Entbindungsstation lag, der Todesstoß für ihre ganze Beziehung war. Viele Jahre später konnte sie auch die Konsequenzen daraus ziehen, aber erst dann. Die Zeit bis dahin, der Kreislauf der Sonne, der Kreislauf des Mondes, war ein ständiges Kräftemessen mit den – oft auch glücklichen – Trivialitäten des Alltags. Der Junge war das entscheidendste Ereignis in ihrem Leben. Mutter zu sein hieß vor allem, dass sie immer gebraucht wurde. Seine täglichen Fortschritte zu sehen – vom ersten Lächeln, das ausdrückte, dass er ein eigenes, noch unerforschtes Gefühlsleben hatte, bis zu den ersten wackligen Schritten, die mit einem Zusammenstoß mit einem Tisch endeten und einem Schrei, der sowohl Schmerz als auch Wut beinhaltete – wog alle Mühsal auf. Natürlich hatte sie oft Hilfe von Linnea, manchmal auch von Elna, wenn sie zu Besuch kam, aber wenn sie dann durch die Stadt schlenderte oder in einer Konditorei saß (einmal ging sie auch zu dem weißen Theaterschuppen im Park), so konnte sie doch nie ganz den Gedanken an Staffan loslassen. Wenn sie überfahren würde? Wenn sie … Sie dachte oft an den Tod, daran, dass sie nicht sterben durfte . Noch nicht … Oft kehrte sie viel eher zurück als nötig. Sie konnte sich manchmal vorstellen, dass nicht einmal Jacob unersetzlich war. Sie würde es auch ohne ihn schaffen. Schweden war kein Land, in dem man verhungerte. Das hieß sicherlich nicht, dass sie wünschte, er wäre fort; es war nur ihre Art, die Situation zu sehen, wie sie war. Es dauerte lange, bis sie wieder mit ihm schlafen konnte, sie hatte ja ein Bedürfnis, auch sie, und sie war trotz allem mit Jacob verheiratet.
    Wenn er an manchen Abenden aus war, kümmerte sie sicheinfach nicht darum. Etwas in ihr war gestorben, ob er es merkte, wusste sie nicht, sie sprachen nicht über ihre Gefühle, und das Licht im Schlafzimmer war immer gelöscht.
    Aber natürlich freute sie sich darüber, wenn er eine Lohnerhöhung bekam und immer größere Freiheiten im Sportgeschäft, und er war aufrichtig froh über seinen Sohn. Das Wichtigste von allem war vielleicht, dass er nie etwas gegen ihre Art, den Jungen zu erziehen, einzuwenden hatte. Wenn sie unsicher und voller Zweifel war, gab er ihr immer recht. Einige seltene Male, meistens unter Alkoholeinfluss, konnte er auch sagen, dass er sie tüchtig fand … überaus tüchtig.
    Als Staffan zehn Monate alt war, bemerkte sie zum ersten Mal, dass ihre Unruhe zurückgekommen war. Die Unruhe, wenn sie am Fenster stand und die Menschen draußen auf der Straße vorbeieilen sah, zu unbekannten Zielen, frei …
    Sie verstand nicht sofort, was da mit ihr passierte, zuerst dachte sie, dass es die Müdigkeit wäre – Staffan hatte seit dem frühen Herbst häufig unter Erkältungen gelitten, und selten konnte sie länger als drei Stunden ohne Unterbrechung schlafen. Aber die Tage vergingen, die Unruhe kam wieder, und schließlich begriff sie, dass ihre Jugend ihr Recht verlangte. Sie war plötzlich wieder neunzehn Jahre alt . Bald würde sich Staffans eigener Wille geltend machen. Gleichzeitig war ihr auch klar geworden, dass er lernen musste, mit anderen Menschen zusammen zu sein.
    In einem Anfall plötzlicher Neugierde fragt sie Jacob eines Abends, was er sagen würde, wenn sie wieder anfinge zu arbeiten. Natürlich nur ein paar Stunden die Woche …
    Er liegt auf dem Sofa und starrt auf das flimmernde Fernsehbild (jemand berichtet über den Herstellungsprozess von Kunstdünger) und hört nicht, was sie sagt. Sie wiederholt ihre Worte, er dreht den Kopf und schaut sie mit halb geschlossenen Augen an. »Warum solltest du das tun?«
    »Um etwas Abwechslung zu haben …«
    »Ich höre immer, dass du hier zu Hause mehr als genug zu tun hast!«
    »Abwechslung, sagte ich. Nicht mehr zu tun!«
    »Du hast immerhin einen Sohn!«
    » Wir haben einen Sohn!«
    »Ja, ja, zum Teufel … Wer soll dann auf

Weitere Kostenlose Bücher